Verwirrung Sünde

Sünde ist ein Wort, das unterschiedliche Assoziationen hervorruft. Einige sagen, sie haben „gesündigt“, wenn sie zu viel konsumiert haben. Andere sprechen vom Verkehrssünder. Unter Sünde versteht man im Allgemeinen eine Tat, die für uns verboten wäre oder die nicht gut für uns ist.

Die eigentliche Bedeutung des Wortes „Sünde“ in der Bibel ist Zielverfehlung. Es bezeichnet die Situation, wenn ein Bogenschütze sein Ziel verfehlt.

Im übertragenen Sinn bedeutet Sünde, dass man das Ziel verfehlt, zu dem man geschaffen wurde. Damit ist Sünde vielfältiger, als man allgemein annimmt.

In den abrahamitischen Religionen deutet man Sünde unterschiedlich.

Jesus sagt in Johannes 16,8: „Wenn er (der Heilige Geist) gekommen ist, wird er die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht.“ Über Jesus sagt Johannes der Täufer: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!“ (Johannes 1,29).

Sünde scheint im biblischen Kontext nicht nur eine unerwünschte Tat zu sein, sondern eher ein Zustand. Jesus sagt zum gelähmten Mann: „Deine Sünden sind vergeben“ (Markus 2,5). Die umstehenden Leute analysieren richtig: Sünde vergeben kann nur Gott (Markus 2,7). Jesus sieht die eigentliche Not nicht im Gelähmt-Sein, sondern im Getrennt-Sein von Gott (Markus 2,9).

Wie Sünde im biblischen Kontext verstanden wird, schlüsselt uns der Sündenfall auf. Der Mensch wird als Verwalter von Gott auf der Erde eingesetzt (1.Mose 2,15). Er trifft sich regelmäßig mit Gott (1.Mose 3,8). Der Mensch darf von allen Früchten essen, außer von einem Baum, dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen (1.Mose 2,17). Im Gespräch mit dem Durcheinanderbringer (Satan, Schlange) wird klarer, um was es bei diesem Baum geht. Es geht darum, ob der Mensch selbst beurteilt, was gut oder böse für ihn ist. Der Mensch macht sich damit unabhängig von Gott. „Ihr werdet sein wie Gott“, versprach der Teufel (1.Mose 3,5), der sich selbst dem Höchsten gleichstellen wollte (Jesaja 14,14) und damit seine Bestimmung mit Gaben und Grenzen nicht akzeptierte.

Die Folge ist, dass der Mensch Gottes Gegenwart nicht mehr erträgt und sich vor ihm verbirgt (1.Mose 3,10). Der Mensch wird der Sterblichkeit unterworfen und verlässt den Garten Eden. Paulus bringt es so auf den Punkt (Römer 14,23): „Alles aber, was nicht aus Glauben ist, ist Sünde.“ Glaube meint, auf Gott und sein Wort zu vertrauen und nach Gottes Bestimmung zu leben. Sünde ist, die göttliche Bestimmung zu verfehlen. Sünde ist Rebellion gegen die von Gott gegebenen Gaben und Grenzen. Sünde trennt uns von der Quelle des Lebens.

Durch den stellvertretenden Tod von Jesus am Kreuz und die Auferstehung ist die Möglichkeit eröffnet, dass Gottes Geist zu uns kommt, uns leitet und verändert (Johannes 16,13). Gott ist nicht ein ferner Gott, sondern ein Gott, der nahe bei uns ist. Der Mensch braucht Erlösung aus seinem von Gott getrennten Zustand. So wird Jesus als der Retter angekündigt (Lukas 2,11), was auch sein Name bedeutet (Matthäus 1,21). Sünde soll bekannt werden (1.Johannes 1,9). Denn Sünde muss bewusst gemacht und benannt werden, sonst zerstört sie den Menschen. Schuld, die ver-geben – also Jesus übergeben – wird, bedrückt nicht weiterhin das Leben. Jesus sagt, dass alles ans Licht kommen wird (Markus 4,22). Johannes beschreibt das so: „Dies aber ist das Gericht, dass das Licht (Jesus) in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Denn jeder, der Arges tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht bloßgestellt werden; wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Licht, damit seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt sind“ (Johannes 3,19-21).

Die jüdische Interpretation des Begriffs sieht in der Sünde ein Fehlverhalten, welches den Segen Gottes behindert. Wenn man die Sünde entfernt und sich an die Ordnungen Gottes hält, wird man wieder gesegnet. Der Mensch an sich ist nach dem jüdischen Verständnis gut und kann sich für das Gute oder das Böse entscheiden. Denis Prager schreibt im Buch Judentum heute: „Die Vorstellung, dass wir als Sünder geboren wurden, ist alles andere als jüdisch. Jeder Mensch wird unschuldig geboren. Er selbst trifft die Wahl zu sündigen oder nicht“ (S.75). So braucht der Mensch im Judentum auch keinen Retter, der aus einem sündigen Zustand befreit. In Jesaja 59,2 wird das so beschrieben: Eure Vergehen sind es, die eine Scheidung gemacht haben zwischen euch und eurem Gott, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verhüllt, dass er nicht hört.“ Und in Jeremia 5,25 steht: „Eure Missetaten haben diese Gaben abgewendet, und eure Sünden haben das Gute von euch ferngehalten.“

Die islamische Ansicht ist, dass der Mensch wie auf einer Wage, gute und schlechte Taten sammelt. Wenn die guten Taten überwiegen, hofft man auf Allahs Barmherzigkeit. Jede rituelle Handlung vermehrt die Zahl der guten Taten. Die Vorstellung, dass die Lektüre des Korans ein Verdienst ist, ist eine Anlehnung an die persische Vorstellung vom Verdienst bei der Rezitation des Vendidad. Die eschatologische Lehre von der Waage (mîzân), auf der die guten und schlechten Taten des Menschen nach dem Tod gewogen werden, finden wir auch im Zoroastrismus. Al-Schejbâni, Schüler des Abu Hanîfa, berichtet, dass das Lesen jedes Wortes des Koran zehn gute Werke aufwiegt (Al-Dârimi, Sunan, 440). Das gemeinsame Gebet ist fünfundzwanzigmal mehr wert als das individuelle Gebet. Deshalb pflegte Al-Muzanî, ein Schüler des Imam Al-Schâfi’i, einer der wichtigsten Autoritäten des 11. Jahrhunderts, fünfundzwanzig Einzelgebete zu verrichten, wenn er zufällig einmal das gemeinsame Gebet versäumte. In Mekka entspricht ein Gebet hunderttausend normalen Gebeten, in Jerusalem nur fünfundzwanzigtausend (Mudjîr al-dîn, al-Ins al-djalil, 263). „Ein Gebet“, sagt Mohammed, „dem der Gebrauch des Zahnstochers vorausgeht, ist mehr wert als 75 gewöhnliche Gebete“ (Buchari, Tamanní, Nr. 9; Musnad Ahmed, IX, 116; al-Schejbâni, Athár, 20; mehr Informationen hier).

Im Islam steht nicht die Vergebung im Vordergrund, sondern das Auslöschen begangener Verfehlungen durch gute Taten („Diejenigen haben keine Vergebung, die erst beim Sterben sagen: Jetzt kehre ich um“ – Sure 4,17-18). Die Unsicherheit über Allahs Barmherzigkeit soll zur Religiosität führen („Die Barmherzigkeit ist den Rechtschaffenen nahe“ – Sure 7,55-56). Das Bekennen der Sünde wird nicht vergeben. Abū Huraira berichtete, dass er den Gesandten Allahs Folgendes sagen hörte: „Jeder in meiner Umma darf mit der Vergebung seiner Sünden rechnen, mit Ausnahme derjenigen, die ihre Sünden kund tun. Zum Kundtun gehört, dass der Mensch eine Tat in der Nacht begeht und beim Anbruch des Morgens – wo Allah ihm Verborgenheit gewährt hat – sagt: ‚Du Soundso, ich habe gestern Abend soundso gemacht!‘ Er verbrachte doch die Nacht in der Verborgenheit, die ihm sein Herr gewährt hat und steht auf, indem er den Schutzschleier Allahs von sich abwirft“ (Sahih al-Buchari, Kapitel 71/Hadithnr. 6069).

Auch Philosophen aller Epochen haben versucht, das Phänomen der Sünde zu deuten und zu erklären. Ausgangspunkt war dabei fast immer die Erkenntnis, dass der Mensch zum Bösen fähig ist (Vergleiche Artikel: Was wir aus dem Holocaust lernen sollten). In der idealistischen Philosophie Hegels wird Sünde als vom Schöpfergott durchaus kalkulierter Fortschritt gesehen. Des Menschen Sünde ist dann die wichtige Emanzipation von Gott, der Sprung in die Existenz. Freiheit, Getrenntsein von Gott und wahres Menschsein sind bei Hegel dasselbe. Ob allerdings die Emanzipation von Gott positiv für den Menschen ist, stellen gottlose Systeme in Frage. Gottlose Orte bedeuten nichts Gutes für den Menschen.

Wir sehen: Verfehlung (Sünde) wird in den drei abrahamitischen Religionen ganz unterschiedlich verstanden. Daraus erfolgen auch unterschiedliche Ansichten, wie man mit der Sünde umgehen soll.

Text: Hanspeter Obrist, August 21

Muslimisches Paradies versus christlicher Himmel

Wenn Muslime und Christen nach ihren eigenen Vorstellungen selig werden, dann werden sie nicht am gleichen Ort sein.

Das muslimische Paradies scheint ein Schlaraffenland zu sein, in dem ein Mann von Knaben bedient wird und über mehrere Frauen verfügen kann.

Gemäß der Tradition ist Allah im siebten Himmel hinter dem Lotusbaum und nicht einmal der Engel Gabriel darf zu ihm gehen. Allah lebt für sich.

Jesus dagegen spricht davon, dass er für seine Nachfolger Wohnungen vorbereitet (Johannes 14,2-3). In seinem Reich dient einer dem anderen (Johannes 13,14-15; 15,12). Die christliche Sehnsucht ist nicht ein Ort, sondern eine Person: Jesus.

weiterlesen: https://www.obrist-impulse.net/muslimisches-paradies-versus-christlicher-himmel

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