Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den neuen Wertekodex für die Muslime im Land begrüßt. Macron sprach am Montag 18.1.21 bei einem Treffen mit Vertretern des islamischen Dachverbands CFCM von einem „extrem wichtigen Schritt“ und einem klaren Bekenntnis zur Demokratie, wie das Präsidentenbüro in Paris mitteilte. Mit geschätzten fünf Millionen Muslimen hat Frankreich die größte Gemeinde Europas.
Der Dachverband Conseil français du culte musulman schreibt in seiner neuen Grundlagen-Charta unter anderem die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fest sowie die „Vereinbarkeit“ des Islam mit den Werten der französischen Republik. Zugleich erteilt der Verband der „Instrumentalisierung des Islam für politische Ziele“ eine Absage. Die Charta des CFCM muss noch von den einzelnen Mitgliedsverbänden gebilligt werden. mehr Informationen
Das Thema ist seit Jahren ein Zankapfel, denn viele muslimische Verbände wollten sich nicht ausdrücklich zur Achtung der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung verpflichten, insbesondere im Verhältnis zu Frauen und zu Nichtmuslimen. Im vergangenen Februar hatte Macron in Mulhouse angekündigt, dass ein „politischer Islam“ keinen Platz in Frankreich habe.
Die strikte Trennung von Kirche und Staat hat in Frankreich zur Folge, dass die Regierung anders als in Deutschland geplant nicht selbst die Ausbildung der Imame übernehmen kann.
Während das Prinzip eines selbstverwalteten Imamrates auf Zustimmung stieß, gerieten die neun Verbände des CFCM in einen heftigen Streit über den Text der Wertecharta. Sechs Wochen lang wurde intensiv verhandelt, zeitweise schien das Projekt vor dem Aus zu stehen.
Aus Protest gegen die „islamistische Ideologie“ etlicher Vertreter verließ der Rektor der großen Moschee von Paris, Chems-Eddine Hafiz, Ende Dezember die Verhandlungen im Eklat. „Ich kann nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die der Republik keinen Respekt entgegen bringen“, schrieb der Rektor. Er hatte sich nach der Ermordung des Geschichtslehrers Samuel Paty durch einen Islamisten für die Trennung von Religion und Politik stark gemacht. Seiner Verurteilung der Straftat fügte er hinzu, dass auch muslimische Kinder lernen müssten, mit Karikaturen über ihre Religion umzugehen. Er erhält seither Drohungen und steht unter Polizeischutz. Die große Moschee in Paris ist in Trägerschaft des algerischen Staates.
Der Streit in den Verhandlungen hatte sich an der Frage entfacht, ob in der Charta die Strömungen namentlich erwähnt werden sollten, die eine politische Instrumentalisierung des Islams betreiben. So war in der ursprünglichen Fassung geplant, den Salafismus, die Muslimbruderschaft und den Wahhabismus ausdrücklich als „inkompatibel“ mit der französischen Republik herauszustellen. Wie das „Journal de Dimanche“ schrieb, soll an dieser Formulierung in der Endfassung festgehalten worden sein. Ein Nebensatz verweist auch auf „nationalistische Strömungen“, die von ausländischen Mächten gesteuert würden. Dagegen hatten Vertreter von vier Verbänden zunächst protestiert.
Zudem kam es zu Verwerfungen in der Frage des Umgangs mit muslimischen Franzosen, die sich von der Religion lossagen. Bislang wurde Apostasie von vielen Predigern kriminalisiert. Zu den Gegnern einer Glaubensfreiheit zählte die einflussreiche „Islamische Konföderation Milli Görus“, die von der Türkei abhängt.
Besonders heftig soll die Debatte darüber verlaufen sein, ob Frauen in der Charta gleiche Rechte wie Männern eingeräumt werden sollten.
Auf Wunsch des Innenministers soll ausdrücklich erwähnt werden, dass Jungfräulichkeitszertifikate keine religiöse Verpflichtung seien. Zudem soll in der Charta stehen, dass Zwangsheiraten nicht mit dem französischen Islam vereinbar seien.
Der endgültige Text der Charta ist noch nicht veröffentlicht worden. Laut Informationen des „Journal de Dimanche enthält“ er unter anderem folgende Passage: „Die Unterzeichner verpflichten sich, die Lossagung vom Islam nicht zu kriminalisieren“. Sie verpflichten sich demnach auch „nicht zu physischer oder psychischer Gewalt gegen diejenigen aufzurufen, die auf ihre Religion verzichten“. Im Text steht laut der Zeitung zudem, dass „die Gleichheit zwischen Männern und Frauen unantastbar ist“. mehr Informationen
Weiter heißt es demnach darin, „bestimmte kulturelle Praktiken gehen nicht aus dem Islam hervor“. Gemeint sind damit Jungfräulichkeitszertifikate und Genitalbeschneidungen. In der Charta stehe zudem, dass „Vorwürfe eines staatlichen Rassismus wie auch andere Opferhaltungen diffamierend sind“. Der CFCM-Vorsitzende Mohammed Moussaoui, teilte am Montag mit, dass in der Charta „die Vereinbarkeit des muslimischen Glaubens mit den Werten der Republik und der Laizität“ hervorgehoben werde. mehr Informationen
In Frankreich haben sich drei islamische Verbände geweigert, den neuen von Präsident Emmanuel Macron unterstützten Wertekodex für Muslime zu unterzeichnen. Einige Aussagen der Charta verletzten „die Ehre der Muslime“ und hätten „einen anklagenden und ausgrenzenden Ton“, erklärten die drei Verbände in einer Stellungnahme am Mittwoch 20.1.21. Fünf der acht Mitgliedsverbände des CFCM billigten den Kodex bereits. Die drei anderen verweigerten am Mittwoch jedoch die Unterzeichnung. „Wir glauben, dass bestimmte Passagen und Formulierungen in dem vorgelegten Text das Vertrauensverhältnis zwischen den Muslimen Frankreichs und der Nation schwächen könnten“, hieß es in ihrer Begründung weiter. mehr Informationen
Könnte ihre Haltung nicht auch die Ehre der französischen Nation verletzen?
Die drei anderen – zwei türkischer und einer indisch-pakistanischer Obedienz – zögern und haben jetzt noch zehn Tage Zeit, sich dem anzuschließen. Andernfalls müssten sie die Konsequenzen tragen, das heißt eine striktere Überwachung mit möglichen Sanktionen. Zwei Grundsätze sind es, die die widerspenstigen Muslimverbände nicht akzeptieren wollen: Keine Einmischung aus dem Ausland und Absage an einen politischen Islam. Das geht gegen die Türkei und die Muslimbrüder. Diesen „nicht verhandelbaren“ (Macron) Grundsätzen des Islam in Frankreich müssen sich auch die Imame unterwerfen. Diese Grundsätze sind kontrollierbar, alle anderen Zugeständnisse (Gleichheit von Mann und Frau, Gewissensfreiheit, Verurteilung des Antisemitismus, Absage an die Gewalt et cetera) sind proklamatorisch, man kann es glauben oder auch nicht. De facto geht es um die Eindämmung und Kontrolle des Islam in Frankreich. Insofern kann die Charta durchaus auch als Beispiel dienen für andere Staaten in Europa, nicht nur laizistische. mehr Informationen
Der französische Rat für muslimischen Glauben (CFCM) – ein Gremium, das vor fast 20 Jahren gegründet wurde, um den Dialog zwischen der Regierung und der muslimischen Gemeinschaft zu ermöglichen. Bei den „Abweichlern“ soll es sich um zwei französisch-türkische Organisationen handeln sowie um eine Organisation, die sich selbst als „Lehr-und Kulturgruppe“ bezeichnet. „Um diese Charta zu verabschieden, müssen wir uns inhaltlich darin wiedererkennen. Es wäre nicht sinnvoll, einen Text zu unterschreiben, den unsere Gemeinde nicht akzeptieren kann„, schrieben die drei Gruppen. Nach der Ablehnung durch die drei Gruppen ist Zukunft der Charta erst einmal ungewiss. mehr Informationen
Katholiken und Protestanten befürchten nun eine Vormundschaft des Staates und warnen vor «Kollateralschäden» des Vorhabens.