Ernüchternde Bilanz des Arabischen Frühlings

Tunesien, die aufgeklärteste Nation im Maghreb, die vor einem Jahr ihren Diktator stürzte, gerät nun in die Klauen islamischer Religiosität. In Ägypten sind Salafisten und Muslimbrüder bereits an der Macht. Und auch in Libyen schicken sich die religiösen Radikalen gerade an, Koran und Scharia zum allumfassenden Gesetz zu erheben.

Wie anders sah das noch vor einem Jahr aus! Modern gekleidete junge Menschen – die Frauen ohne Kopftuch, die Männer ohne Bekennerbart – rebellierten gegen die Diktatoren Ben Ali, Mubarak und Gaddafi. Sie vernetzten sich per Handy und Laptop zum Massenprotest. Sie forderten eine Freiheit nach westlichem Zuschnitt: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, Pressefreiheit und freie Wahlen, Gleichberechtigung der Frauen.

Inzwischen aber hat sich die für einige Monate offene Gesellschaft wieder geschlossen, diesmal unter der Knute des Islam, ähnlich wie 1979 im Iran, als der Sturz des säkularen Despoten Reza Schah Pahlevi die demokratische Welt in Hoffnungstaumel versetzte – bis die Mullahs unter Ajatollah Chomeini ihre religiöse Macht mit den Mitteln des Terrors installierten.

Nischen wie in weltlichen, auch arabischen Diktaturen sieht der Totalitarismus von Mullahs und Imamen nicht vor.

Auch dem Kampf gegen Syriens Assad, den brutalsten Gewaltherrscher im Nahen ¬Osten, wird das übliche Machtspiel folgen: Die Sunniten nehmen Rache an den Alewiten – der Rebellion folgt die Religion.

Saudi-Arabien fordert Freiheit für Syrien – und hält selbst 50000 politische Gefangene hinter Gittern.

Das Öl-Reich gehorcht dem wahabitischen Islam: Öffentliches Steinigen von Frauen, Auspeitschungen und das Abhacken von Händen, inszeniert auf den Vorplätzen der Moscheen, sind religiöses Recht; die Unterjochung von Frauen, der Zwang zur Verhüllung und das Leben im Kleidergefängnis mit Sehschlitz sind saudischer Alltag.

Vergangenes Jahr flossen vier Milliarden Saudi-Dollars allein in die Kassen der ägyptischen Salafisten. Was für eine Gesellschaft die Saudis als Gegenleistung erwarten, haben die Machthaber in Riad gerade eben erneut demonstriert: Hamsa Kaschgari, ein 23-jähriger Journalist, erlaubte sich zum Geburtstag des Propheten Mohammed folgende Sätze ins Netz zu stellen: «An Deinem Geburtstag werde ich sagen, dass ich den Rebellen in Dir liebte, dass Du mir immer eine Quelle der Inspiration warst – und dass ich Deinen göttlichen Heiligenschein nicht mag. Ich bete Dich nicht an.» Auf Beleidigung des Propheten steht in ¬Saudi-Arabien die Todesstrafe. Hamsa Kaschgari floh nach Malaysia. In Kuala Lumpur wurde er verhaftet und am 12. Februar ausgeliefert.

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