Im Herzen von Tel Aviv liegt eine grüne Insel, die älter als die Stadt selbst und der Staat Israel ist. Deutsche Templer haben die malerische Sarona-Siedlung, von der 37 historische Häuser überdauert haben, im Jahre 1871 gegründet.
Hier soll demnächst ein schicker Kulturpark mit schattigen Bäumen und großen Rasenflächen für die Einwohner Tel Avivs und Touristen aus aller Welt entstehen.
In den alten Templerhäusern werden Restaurants, Kunstgalerien, Modeboutiquen und andere Trendgeschäfte eröffnet. Geplant sind 60 bis 70 Geschäfte in den ehemals deutschen Familienhäusern. Die Tel Aviver Stadtverwaltung hofft auf bis zu 50 000 Besucher am Tag.
Durch die Gassen der früheren deutschen Siedlung rattern zahlreiche Bulldozer, Handwerker renovieren liebevoll jedes einzelne der denkmalgeschützten historischen Gebäude. Einer von ihnen ist der Deutsche Thomas Bömicke aus Kaiserslautern. Im Grundberuf ist er Installateur, seit sechs Jahren arbeitet er aber in Israel als Restaurateur. Er findet es sehr bewegend, die zum Teil 120 Jahre alten Fenster und Türen der deutschen Templerhäuser wieder aufzuarbeiten. Ihn fasziniere die alte Bautechnik, sagt der bodenständige Pfälzer, der mit seiner israelischen Frau zwei Kinder hat. „Ich sehe, wie sie damals alles gebaut haben, ohne Nägel.“
Die Templer waren vor fast 150 Jahren, also in der Endphase des Osmanischen Reichs, ins damalige Palästina, gekommen. Sie wollten die „echten christlichen Werte“ zurück ins Heilige Land bringen. Mit deutschem Fleiß und für damalige Verhältnisse moderner technischer Ausrüstung bauten sie an mehreren Orten landwirtschaftliche Siedlungen auf, unter anderem in Haifa, Jerusalem und Bethlehem in Galiläa. Es heißt, ihre Methoden hätten später auch den jüdischen Zionisten als Vorbild gedient.
„Die Templer haben die ersten Kartoffeln ins Heilige Land gebracht“, erzählt Avi Mosche Segal, der Besucher durch das alte Templerdorf führt. Jedes Haus steht für sich allein, mit viel Grün rundherum – Jede der deutschen Familien brauchte immerhin ihren Platz für Landwirtschaft und Ställe.
Sarona ist wie ein Mikrokosmos der Geschichte des historischen Palästinas und später Israels. Gegründet wurde die Siedlung 1871 – also schon 40 Jahre früher als die Stadt Tel Aviv, in dessen Zentrum sie heute liegt.
Die Tempelgesellschaft war als religiöse Gemeinschaft aus der Lutheranischen Kirche Württembergs hervorgegangen. Ihre Mitglieder wollten sich im Heiligen Land ansiedeln, um das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. Ihr Name geht zurück auf eine Stelle im Neuen Testament, der zufolge die Menschen sich als „lebende Bausteine“ zum Tempel erbauen sollen. Das Leben als abgeschlossene religiöse Gemeinschaft war für die Templer von zentraler Bedeutung. Die Bewegung spaltete sich über der Frage ob Jesus Gott ist in die Templer und Kirchler.
In den ersten Jahren hatten die deutschen Siedler mit harten Lebensbedingungen zu kämpfen. Viele – auch Kinder – erlagen der Malaria. Die Templer pflanzten in Sarona Eukalyptusbäume an, um die sumpfige Erde auszutrocknen. Benannt ist die kleine Siedlung nach der Scharon-Küstengegend nördlich des heutigen Tel Aviv.
Obwohl die Templer sich im fernen Palästina ansiedelten, blieb ihr Schicksal eng mit ihrer deutschen Heimat verbunden. Bei seinem historischen Besuch in Palästina wurde der deutsche Kaiser Wilhelm II. in Haifa von Templern in Empfang genommen. In Jaffa überreichten sie ihm eine prächtige Sammlung von Gemälden der Templersiedlungen in Palästina.
Während des Ersten Weltkriegs besetzten britische Truppen 1917 die Siedlungen der Templer in Palästina, im Jahr darauf wurden 850 von ihnen nach Ägypten gebracht und dort in einem Lager bei Kairo interniert. In den Jahren nach dem Krieg konnten sie nach und nach nach Palästina zurückkehren.
Zum Verhängnis wurde den deutschen Templern ihre Identifikation mit den Nationalsozialisten. Etwa ein Drittel von ihnen seien Mitglieder der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) gewesen, sagte Segal. In der Templersiedlung Waldheim in Galiläa hielt die Hitlerjugend sogar ein Sommerlager für Kinder ab.
1939 internierte die britische Mandatsmacht die Deutschen in Palästina und deportierte zwei Jahre später einen Großteil von ihnen nach Australien. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten etwa 1500 Templer in Palästina. Die letzten Mitglieder der deutschen Glaubensgemeinschaft mussten ihre neue Heimat in den Jahren nach der israelischen Staatsgründung von 1948 verlassen. Ein ehemaliges Ehepaar der Gemeinschaft lebt immer noch in Israel.
Nach Ende des britischen Mandats übernahm die neue israelische Armee einen Teil von Sarona, das jetzt als „Kiria“ bekannte eingezäunte Gelände mit Verteidigungsministerium und Militär-Generalstab.
Jedes Haus der Siedlung hat seine eigene Geschichte: In einem der Gebäude entstand nach dem Zweiten Weltkrieg etwa die erste Zentrale des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad. Segal deutet auf eine große Antenne gegenüber dem unscheinbaren Häuschen: „Mit dieser Antenne waren die Mossad-Agenten über Funk in Kontakt mit dem israelischen Spion Eli Cohen in Syrien.“ Die syrischen Behörden überraschten Cohen damals, während er in Funkkontakt mit seinen israelischen Verbindungsmännern war. 1965 wurde er in Damaskus öffentlich gehängt.
Auch die ersten Flugzeuge der neuen israelischen Armee entstanden unter der Erde der alten deutschen Templersiedlung. Flugingenieure bauten Flugzeugteile zusammen, die ihnen die britische Luftwaffe verkauft hatte. „Dieser Keller ist der Anfang der israelischen Luftwaffe“, sagt Segal stolz in einem großen unterirdischen Gewölbe, das den Templern als Weinkeller diente. Hier entstanden früher mehrere Weinsorten, darunter „Sarona rot“.