„Ich glaube, dass junge Juden hier keine Zukunft haben.“ Sagt die 46-Jährige Evelyn Mende in der Zeitschrift „Die Welt“ vom 27.4.19.
Die Geschichte des 16-Jährigen Liam Rückert aus dem Berliner Bezirk Spandau hatte vor einem Jahr bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt, weil Liam wegen seiner jüdischen Herkunft von Mitschülern bedroht und gemobbt wurde. Dank Auswanderung mit Naale entkam er den Quälereien seiner Mitschüler.
Naale ist die hebräische Kurzform für „Jugendliche immigrieren vor ihren Eltern“. Weltweit wandern jedes Jahr etwa 700 junge Juden mit Naale nach Israel aus, Tendenz steigend. Aus Deutschland kamen 2018 knapp 50 junge Juden nach Israel.
„Ich habe total Angst vor dem muslimischen Antisemitismus“, sagt Evelyn Mende. „Ich kann nicht einschätzen, wie schlimm das noch wird.“ Viele der jüngsten antisemitischen Übergriffe in Berlin sind auch in israelischen Medien thematisiert worden.
„Es ist aber normal, dass ich meine Kette mit dem Davidstern außerhalb des jüdischen Gymnasiums immer unter die Kleidung stecke“, sagt sie. „Die Jungs tragen im Sommer Basecap und im Winter Mütze über der Kippa.“
Die gefühlte Angst von Evelyn Mende und Golda lässt sich mit Zahlen belegen. So hat die nicht staatliche Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias) im vergangenen Jahr 1083 antisemitische Vorfälle in Berlin registriert, 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Auffällig ist, dass der Antisemitismus häufiger als in den Jahren zuvor „verrohte Formen“ angenommen habe und „direkter“ geworden sei, sagte Rias-Projektleiter Benjamin Steinitz. Die Anzahl antisemitischer Angriffe erhöhte sich von 18 auf 46, die Zahl der Bedrohungen stieg von 26 auf 46. Es sei eine zunehmende Bereitschaft festgestellt worden, antisemitische Aussagen mit „konkreten Gewaltandrohungen zu verbinden oder ihnen gar Gewalt folgen zu lassen“, so Steinitz.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verzeichnete für das Jahr 2017 bundesweit 1453 antisemitische Straftaten in Deutschland. Rias hält die Aussagekraft der PKS jedoch für begrenzt. Die Dunkelziffer sei hoch, oft erkenne die Polizei nicht, dass es sich um eine antisemitische Straftat handele. Viele Opfer vermieden zudem den Schritt zur Polizei, weil sie sich davon ohnehin keinen Erfolg erhoffen. Ein Großteil der antisemitischen Erfahrungen erfülle zudem keinen Straftatbestand, sei für die Opfer aber dennoch traumatisierend.
Nicht alle Berliner Juden sehen Bildungsprogramme wie jenes von Naale positiv. Dass viele gut ausgebildete junge Menschen Deutschland verlassen, sehen auch einige Berliner Juden kritisch. Wenn diese Jugend auswandere, schwäche das die jüdischen Gemeinschaften in den jeweiligen Ländern.
Die Auswahl ist bei Naale außerordentlich hart. 30 Prozent der Testteilnehmer fallen durch, eine Begründung dafür erhalten sie nicht. Der Neuanfang in Israel ist für viele ein Kulturschock. 15 Prozent der Abiturienten zieht es laut Angaben von Naale wieder zurück nach Deutschland, etwa zehn Prozent brechen das Programm schon vorher ab. Das bedeutet im Gegenzug allerdings auch, dass drei Viertel der Auswanderer dauerhaft in Israel bleiben. Die Hälfte von ihnen holt später sogar die Familie nach. mehr Informationen