Ahed Tamimi (17) gilt als Heldin des palästinensischen Widerstands, weil sie einen israelischen Soldaten ohrfeigte und dafür ins Gefängnis ging. Acht Monate Haft hatten Tamimi in eine Ikone des palästinensischen Befreiungskampfes verwandelt. Der türkische Präsident Recp Tayyep Erdogan rief an, um sie für ihren „Mut und ihre Entschlossenheit“ zu loben. Doch mittlerweile wächst auch in der arabischen Welt die Kritik an ihr.
Als ein Interviewer im französischen Sender France24 von ihrem gewaltlosen Widerstand sprach, korrigierte ihn die Aktivistin: „Ich rufe zu Volkswiderstand in jeder Form auf. Menschen sollten wählen können, wie sie Widerstand gegen Israels Besatzung leisten. Manche mit Poesie, andere ohrfeigen Soldaten oder werfen Steine, ich respektiere jede Form des Widerstands.“ Jede Reaktion auf die Besatzung sei gerechtfertigt, argumentiert Tamimi in einem anderen Video, egal ob mit „Messerattacken, Selbstmordanschlägen oder das Werfen von Steinen“. Jeder müsse „etwas tun, damit wir unsere Botschaft übermitteln und Palästina befreien können“.
Dieser klare Aufruf zu Gewalt blamiert nun viele, die Tamimi in Schutz nahmen. Nur wenige Wochen nach ihrer Entlassung erscheint das Mädchen nicht mehr als unschuldiges Opfer, dessen Schicksal die arabische Welt und Friedensaktivisten im Widerstand gegen Israels Besatzung eint. Stattdessen wird sie zunehmend zum Sinnbild für die Gewalt und die Differenzen, die Frieden in der Region seit Jahrzehnten unmöglich machen.
Hassan Nasrallah, Führer der libanesischen Hisbollah-Miliz, hatte im August das „mutige Mädchen“ dafür gelobt, dass „sie israelische Soldaten konfrontiert und sie ohrfeigt“. Tamimi bedankte sich daraufhin in einem Interview für die Glückwünsche. Nasrallahs Worte hätten die Kampfmoral der Palästinenser gehoben. „Ich ziehe vor ihm den Hut und bedanke mich für seine Unterstützung“, sagte Tamimi. „Wir unterstützen ihn alle und sind stolz auf ihn.“
Doch Nasrallah ist eine der umstrittensten Figuren im Nahen Osten. Der Chef der Schiitenmiliz entsandte Tausende seiner Kämpfer in Syriens Bürgerkrieg, um Präsident Baschar Assads Regime zu retten.
Inzwischen reichen Nasrallahs Aktivitäten weiter. Seine Soldaten bilden schiitische Milizen im Irak und in Jemen aus, wo sie gegen Verbündete sunnitischer Regime wie Saudi-Arabien kämpfen.
Syrische Oppositionelle, sunnitische Libanesen und viele Araber aus Golfstaaten griffen Tamimi nun in sozialen Netzwerken an. Einer bedauerte, dass Tamimi nicht länger in israelischer Haft saß, „um eine Ahnung davon zu bekommen, wie die Syrer unter Präsident Baschar Assad leiden“.
Der syrische Schriftsteller Maher Scharaf Eddin schrieb: „Du magst einen israelischen Soldaten geohrfeigt haben, aber Du hast der palästinensischen Sache 1000 Schläge erteilt.“ Tamimi bekräftigte indes, sie bedaure ihre Botschaft an den Hisbollahchef nicht. „Aus meiner Sicht unterstützt Nasrallah die palästinensische Sache, er ist gegen die USA und Israel, deshalb bin ich mit ihm in dieser spezifischen Angelegenheit einer Meinung.“
Eine bekannte israelische Rechtsanwältin hatte Tamimi im Prozess vertreten, der prominente Sänger Aviv Gefen hatte sie als „palästinensische Jeanne d’Arc“ gepriesen. Doch seit ihrer Entlassung macht Tamimi klar, dass ihre Weltanschauung nicht so friedlich ist, wie das israelische Friedenslager gerne hätte.
Seit ihrer Befreiung forderte sie wiederholt die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge „nach ganz Palästina, vom Toten Meer bis zum Mittelmeer“ und behauptet, Israels Soldaten besetzten „mein Land, Jaffa, Haifa, Akko“ – Städte, die sich im Kernland Israels befinden. Für die Existenz Israels lässt das keinen Platz. Diese Vision will Tamimi notfalls mit Waffen verwirklichen.
Schon ihre erste Auslandsreise führte zu Streit. Im Rahmen einer Europatournee besuchte Tamimi Frankreich und Spanien, wo der Fußballklub Real Madrid sie am Wochenende empfing und ihr ein weißes Trikot der Königlichen mit ihrem Namen überreichte.
Zuvor war sie Ehrengast des Festivals „Fête de l’Humanité“ in Paris. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, der inzwischen die Beziehungen zu ihren Anhängern in Marokko belastet. Tamimi ließ sich nämlich in Paris neben einem Aktivisten der Polisario Front ablichten, eine Bewegung, die seit 1975 für die Freiheit der Sahrawis in der von Marokko besetzten Westsahara kämpft. Die Polisario ist in Marokko verboten.
Das Foto verärgerte viele Marokkaner. Auf sozialen Netzwerken beschimpften manche die ehemalige Gefangene nun als „israelische Agentin“. Tamimis Vater Bassem war einer der Führer des Widerstands in Nabi Saleh. mehr Informationen