Auszug von Arye Sharuz Shalicar’s Beitrag
„In meiner langjährigen Funktion als Pressesprecher der israelischen Armee hatte ich mit Dutzenden, wenn nicht Hunderten deutschsprachigen Journalisten zu tun – während Krisensituationen täglich.
Zugegeben: Ich war immer wieder erstaunt, zu erleben, wie ein ganz bestimmtes Narrativ Ausgangspunkt für die Lagebeschreibung vieler Journalisten war.
Ein Beispiel: Immer wieder wurde Israels Reaktion zuerst erwähnt und nur im zweiten Satz, oftmals kleingedruckt, kurz angegeben, was die Gegenseite ‚mutmaßlich‘ zuvor getan hatte. ‚Mutmaßlich‘? Der Raketenbeschuss aus Gaza erfolgt – leider – nicht mutmaßlich, sondern ist bittere Realität in Israel. Und zwar Tag für Tag. (…)
Israel ist der Aggressor, die Palästinenser die Opfer – das war das Bild, das ist das Bild. Alles andere würde stören, den Leser durcheinanderbringen und unnötige Fragen aufwerfen. (…)
Eine deutsche Journalistin war einmal so frei und sagte mir, dass Journalismus natürlich auch ein Business ist und sie als Journalistin alles daran setzen müsse, nicht die Leserschaft zu verlieren. Mit anderen Worten: Man muss ihnen das liefern, was sie erwarten. (…) Meine These und mein Eindruck ist: Man erwartet Artikel, die zeigen, dass Israel kaum besser ist, als es die Nazis früher waren. Diese ganz bestimmte Leserschaft hat weiterhin ein Problem mit der Vergangenheit. (…)
Die beliebteste israelische Zeitung ist in den Augen deutscher Journalisten die englischsprachige Ausgabe der linksliberalen Haaretz. (…) Auf den Berichten dieser einen Zeitung beruht ein Großteil ihrer Artikel. (…) Alle anderen Zeitungen haben eine größere Zirkulation als die Haaretz. Nichtsdestotrotz beziehen sich Auslandskorrespondenten fast ausschließlich auf dieses eine Blatt. Es ist das Blatt, das am meisten israelische Selbstkritik äußert und somit genau das liefert, was der Endempfänger in Deutschland vom Spiegel, den Tagesthemen oder dem ARD-Radio erwartet. (…) Das ist eine traurige Realität. Genauso falsch wäre es, wenn israelische Journalisten sich in Deutschland einzig und allein auf das »Neue Deutschland« oder Jakob Augsteins »Freitag« beziehen würden. Absurderweise ist ihre Reichweite höher als die der Haaretz, aber kein internationaler Journalist nimmt diese zwei deutschen Zeitungen ernst. Wieso sollte er auch? Es sind Zeitungen, die eine krasse Minderheit der Gesellschaft widerspiegeln. Genauso wie die Haaretz.“
Das Profil mancher Auslandskorrespondenten lässt zu wünschen übrig. Ein gutes Beispiel dafür sind die Auslandskorrespondentinnen des »Spiegel« zwischen 2010 und 2016. Außer einem Abschluss kurz vorher an der Journalistenschule hatten alle drei Damen keinen Background in Nahostgeschichte, Konfliktmanagement, Politik, Theologie, Militär oder Sicherheit. Sie verstanden weder Hebräisch noch Arabisch. Wie kann eine 28-jährige Journalistin, die all das nicht kann, ein korrektes Bild vom Geschehen hier im Nahen Osten wiedergeben?
Das ist ungefähr so, als ob eine Gruppe von israelischen Auslandskorrespondenten in Deutschland jeden Tag über die AfD berichten würde, und wie faschistisch sich Deutschland doch entwickle. Und das jahrelang.
Shalicar war lange Zeit Pressesprecher der israelischen Armee und ist heute Direktor für Auswärtige Angelegenheiten in Israels Ministerium für Nachrichtendienste im Büro des Ministerpräsidenten.
(Arye Sharuz Shalicar: „Keine Angst vor der Wahrheit?“)