Die zweitgrößte Nato-Armee führt einen Dschihad, einen „heiligen Krieg“. So nennt die Türkei ihre Angriffe auf die Kurdengebiete in Syrien. Aber was heißt hier Dschihad? Der richtet sich normalerweise gegen „Ungläubige“, und die Kurden sind mehrheitlich Muslime.
Der türkische Parlamentspräsident Kahraman hatte am 26. Januar mit Bezug auf die bombardierte Enklave Afrin gesagt, „dass es ohne Dschihad im Krieg keine Fortschritte geben kann„. Und Erdoğan behauptete, es gebe einen „postmodernen Kreuzzug“ gegen die Muslime – und „die Kurden der YPG sind die neuen Kollaborateure der postmodernen Kreuzzügler„. Die Kurden als Söldner christlicher Imperialisten, die gegen die islamische Religion antreten? Bitte wo? Kurden werden in der Türkei jetzt auch als Handlanger „der Zionisten“ diffamiert, der von den Kurden geforderte unabhängige Staat sei ein zweites Israel. Das ist die aktuelle Pointe eines alten Anti-Judaismus, der schon in der zweiten Koran-Sure Juden als „ausgestoßene Affen“ verfluchte, und der die Existenz Israels als ein Sakrileg ansieht.
Nach Erdoğans nationalislamistischen Ideologie sind Kurden heute nicht mehr „separatistische Terroristen“, wie in der laizistischen Türkei, sondern „Ungläubige„, deren Vernichtung im Sinne Allahs ist. Die muslimischen Kurden werden zu Verrätern am Islam erklärt, noch verdammungswürdiger als Nichtmuslime. Warum?
Die säkular verwalteten kurdischen Gebiete in Nordsyrien sind Erdoğan ein Dorn im Auge, denn das autonome Rojava ist bislang eine Oase der Freiheit inmitten der vom Syrienkrieg und von radikalen muslimischen Terrorgruppen zerstörten Region. In Rojava fanden assyrische Christen und andere Minderheiten wie Jesiden oder Alawiten Zuflucht. Es geht also hier nicht nur gegen die Kurden und schon gar nicht nur gegen die Kampfeinheiten der YPG – sondern Erdoğan will seinen Traum vom Kalifentum, vom politisch mächtigen Islam nicht durch Regionen des „Unglaubens“ gefährdet sehen. Wer das für übertrieben hält, frage sich, warum der Präsident gern die Geste der Muslimbrüder zeigt: vier in die Luft gestreckte Finger, der Daumen eingeknickt. (Siehe Suchergebniss Erdogan Gruß)
Die ausgestreckten vier Finger symbolisieren: “Der Koran ist unsere Verfassung. Der Prophet unser Führer. Der Dschihad unser Weg. Der Tod für Allah unser nobelster Wunsch.” (mehr Informationen)
Die einst sehr gläubigen Kurden sind heute die einzig wehrhafte säkulare Kraft der Region. Sie versuchen, unter Kriegsbedingungen Demokratie zu etablieren. Dagegen hatte Erdoğan nun auf Unterstützung vom Papst gehofft. Ein Irrtum! Der Papst befragte ihn peinlich nach der Lage der Kurden. Und der Präsident war nicht erfreut. Erdoğan denkt gern in den Kategorien des Osmanischen Imperiums. Er träumt ein neo-osmanisches Wunschbild, in dem die Türkei endlich den postmodernen „Kreuzzügen“ christlicher Imperialisten gegen die islamische Welt ein Ende setzt. mehr Informationen
Erdoğan hat die gleiche Kriegsrhetorik übernommen, wie sie der IS pflegte: Alle anderen sind Ungläubige, die man bekämpfen muss.
Es ist irgendwie erstaunlich, dass in den hiesigen Medien die extreme religiöse Terminologie Erdoğans kaum bis gar nicht vorkommt – wie stattdessen die Kritik an seiner Politik in säkularer Terminologie gehalten wird. Es entzieht sich ganz und gar meinem Verständnis, wie der Weiterbestand der Nato-Mitgliedschaft und die Waffenversorgung (auch durch Deutschland) argumentiert werden kann?! Bei der Eindeutigkeit der Völkerrechtswidrigen, kriegstreibenden Terminologie Erdoğans sollte man einen sofortigen Ausschluss der Türkei aus dem Natobündnis für angezeigt halten?!