Die islamisch-konservative Regierung in Ankara will den „Dschihad“ von September 2017 an zu einem Lehrfach machen.
Großes Entsetzen herrscht bei den Alewiten, einer Glaubensrichtung, die in der Türkei die größte religiöse Minderheit stellt und seit langem Diskriminierung zu spüren bekommt. Die Alewiten machen geschätzte 20 Prozent der 80 Millionen Einwohner aus und stehen den Schiiten näher als den Sunniten, die weltweit und auch in der Türkei die Mehrheit der Muslime stellen.
„Den Dschihad als eine Art Gottesdienst in Schulen zu unterrichten, steht im Einklang mit den Doktrinen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und ist sehr gefährlich“, warnt Erdogan Döner, der Präsident des Alewiten-Dachverbandes Cem Vakfi.
Bedenken, die die Regierung in Ankara mit Verweis auf die eigentliche Bedeutung des Wortes „Dschihad“ zurückweist. Radikale Islamisten hätten den Begriff für ihr Konzept des „Heiligen Krieges“ ausgeschlachtet. Der Unterricht werde sich aber auf den inneren geistlichen Kampf in einem patriotischen Kontext konzentrieren, heißt es.
Erdogan und Bildungsminister Ismet Yilmaz selbst werben in der Öffentlichkeit für die Idee des „Dschihad“ als persönliches Streben, böse Neigungen zu bekämpfen.
Tatsächlich wird Dschihad oft als „Heiliger Krieg“ übersetzt, womit der Kampf für die Ausbreitung oder Verteidigung des Islams gemeint ist. Aber mit Dschihad muss nicht zwangsläufig Krieg verbunden sein. Der Begriff kann das ganz persönliche Bemühen eines Muslims bezeichnen, ein besserer Gläubiger und Mensch zu werden.
Trotz aller Beschwichtigungsversuche: Die Skepsis unter führenden Alewiten bleibt. Groß ist die Angst, dass Lehrer schlecht vorbereitet sein könnten, um die komplexe Idee des „Dschihad“ zu erklären. Auch die Vorstellung, ihre Kinder bekämen Lektionen im sunnitischen Islam, besorgt Vertreter der Glaubensrichtung.
Schon jetzt gebe es Unterrichtsstunden, in denen falsche Details über ihre Religion gelehrt würden. Diese trügen zum verzerrten Bild bei, das in der türkischen Gesellschaft existiere.
Der türkische Staat fördert finanziell nur sunnitische Moscheen. Die Türkei definiere das Alewitentum als „eine Kultur, nicht einen Glauben“ und verleihe somit nur dem sunnitischen Islam eine Glaubwürdigkeit als Doktrin, kritisiert Remzi Akbulut vom Verband der Alewiten-Stiftungen.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand 2016, der Staat verletze Rechte der Alewiten, weil er öffentliche Gelder zurückhalte.
„Mit dem Wegbewegen vom Säkularismus besteht das Risiko der wachsenden Polarisierung in der Gesellschaft“, sagt Lale Karabiyik von der Mitte-Links-Partei CHP. mehr Informationen