Mahmoud El Guindi, der neue Präsident der Vereinigung Islamischer Organisationen, über das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in der Schweiz. Zitate aus einem Interview vom Landboten.
Hat sich das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen seit der Einführung des Minarettverbotes verschärft oder entspannt?
Ich habe den Eindruck, es hat eine Sensibilisierung auf beiden Seiten stattgefunden. Es gibt nach wie vor Probleme, Spannungen, Differenzen. Aber der Dialog findet mit einem grösseren Bewusstsein gegenüber der Haltung des Gegenübers statt.
Was kann umgekehrt die muslimische Gesellschaft besser machen, um die Skepsis ihnen gegenüber weiter zu reduzieren?
Die Muslime sollen sich die Kritik anhören und sich überlegen, was davon berechtigt ist und was Polemik und reines Vorurteil ist. In der orientalischen Kultur ist der Zeitbegriff ein anderer. Zeit hat einen sozialen Wert. Hier in Europa ist Zeit auch ein wirtschaftlicher Wert: Time is money, wie man sagt. Zugegeben, es ist eher eine kulturelle, keine religiöse Eigenheit. Dennoch trifft das Vorurteil viele Muslime, da sie von der orientalischen Kultur geprägt sind, und es ist eine berechtigte Forderung hierzulande, wenn man erwartet, dass man pünktlich zu einem Termin erscheint.
Was ist mit der Kritik, dass sich die Frauen verhüllen müssen?
Es ist natürlich eine Unterstellung, wenn man sagt, dass der Islam die Frauen diskriminiert. Bevor der Islam im arabischen Raum Einzug hielt, haben die herrschenden, rohen Völker neugeborene Mädchen getötet, weil sie später nicht als Krieger einsetzbar waren. Unter dem Islam wurde dies verboten, ein grosser Fortschritt in der damaligen Zivilisation. Ein anderes Beispiel: Die Frau wird im Gegensatz zum Christentum nicht für die Ursünde verantwortlich gemacht. Eva führte Adam nicht in Versuchung. Beide trifft dieselbe Schuld. Es gibt viele theologische Hinweise darauf, dass die Frau die ihr zustehende Achtung zu erfahren hat. Umgekehrt gibt es hierzulande ein Paradox: Man will den Frauen alle Rechte zugestehen, aber nicht das Recht, sich für das Kopftuchtragen zu entscheiden. Man hat eine fixe Vorstellung von den Freiheitsrechten der Frau, ohne ihr die tatsächliche Selbstbestimmung zu überlassen.
Was können die Muslime an Werten einbringen, die der Schweiz guttäten?
Familienkultur und Familienwärme. Menschliche Beziehungen haben bei den Muslimen einen hohen Stellenwert. Die westliche Frau wird so wahrgenommen, dass sie ihre Familie für die Karriere opfert. Und oft trotzdem nicht so viel erreicht wie der Mann. Am Schluss hat sie Defizite, sowohl im Berufs- als auch im Familienleben. Muslimische Frauen beobachten diese Entwicklung mit grosser Skepsis. Ich möchte jedoch betonen: Die Werte der Schweizer könnten grösstenteils auch jene der Muslime sein. Im Grunde gibt es viel mehr gemeinsame als unterscheidende Werte zwischen Muslimen und Nichtmuslimen.