Der heftige Streit um das Beschneidungsurteil offenbart die ganze Erbärmlichkeit des derzeitigen Atheismus

Zitate / Auszug aus dem Artikel von Dirk Pilz in fr-online.de

Es sind Atheisten, also ihrem Selbstverständnis gemäß Gottbefreite, die mit energischem Missionseifer wider das Recht auf Beschneidung streiten. Sie sind es, die Beschneidung als religiöse Barbarei betiteln. Sie sind es auch, die religiöse Erziehung als Indoktrination bezeichnen und gemeinhin davon ausgehen, dass erstens die Zahl der Gläubigen ohnehin unaufhaltsam sinken wird und zweitens der Verzicht auf Religion, also auch auf religiöse Erziehung, ein Glück für die Gesellschaft und den Einzelnen sei. Das Urteil stärke die Rechte der Kinder vor „religiösen Übergriffen“, so die Stellungnahme des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten.

Das sagt bereits Entscheidendes über den Zustand jenes Atheismus aus, der damit vertreten wird. Die Religion wird zu einem Feind erklärt, der (endlich) niedergerungen werden müsse. Ein Atheismus dieser Machart ist nicht minder bedrohlich für das gesellschaftliche Zusammenleben.

Die Mehrheit fühlt sich dem Atheismus verpflichtet, allerdings in der Regel, ohne sich dafür explizit entschieden zu haben: Die meisten sind Atheisten aus Gewohnheit.

Das Problem ist, dass zumeist nicht mehr gewusst und begriffen, noch nicht einmal geahnt wird, was man mit dem Atheismus bejaht und ablehnt. Seine Grundüberzeugungen verkommen damit zu Dogmen, zur blindmachenden Ideologie: Wer nicht weiß (und wissen will), welche Vorannahmen und Hintergrundüberzeugungen eine atheistische Position impliziert, mutiert zum unmündigen Meinungstrottel. Daher rührt wahrscheinlich auch die große Aggression, mit der dieser Atheismus auftritt.

Es ist augenscheinlich vonnöten, an einige Selbstverständlichkeiten zu erinnern, die offenbar in Vergessenheit geraten sind.

Erstens: Mit dem Atheismus vertritt man keine glaubensfreie Position. Auch Atheisten machen Annahmen über die Welt und den Menschen, die auf Vermutungen basieren. Auch der Atheismus ist eine Glaubensphilosophie: Wer nicht an Gott glaubt, hat sich nicht vom Glauben, sondern allenfalls von Gott losgesagt.

Zweitens: Der Gegenbegriff zu Glauben ist nicht Wissen, sondern Unglaube, derjenige zu Wissen entsprechend Unwissen. Gottesbeweise zum Beispiel bilden ein philosophisches Problem der Erkenntnistheorie; sie beschäftigen sich mit der Frage, was dem Menschen zu wissen möglich ist. Die Glaubenstatsachen berühren sie nicht, denn weder belegen Beweise noch widerlegen sie, worum es dem Glauben geht. Es ist daher naiv zu meinen, gäbe es einen Gottesbeweis, würden alle Menschen Gläubige, wie es umgekehrt ebenso naiv ist zu erwarten, mit dem Nachweis der Nicht-Existenz Gottes verschwände die Religion. Säkularisation ist keine eindimensionale Geschichte, die von einem Zuviel an Religion zu keiner Religion führt. Religionen verschwinden nicht, sie transformieren, wandeln sich.

Glaube ist dabei, wie der Theologe Eberhard Jüngel treffend schreibt, der „existenziale Ausdruck dafür, dass der Mensch sich nicht selber hat“, ohne dass dies als Mangel zu begreifen wäre. Glaubende sind vielmehr die „von der Fixiertheit auf sich selbst Freigelassenen“, und zwar – so jedenfalls für den christlichen Glauben – von und durch Gott Freigelassene. Gott ist dabei weder bloße Fantasie noch schiere Projektion, sondern ein Gegenüber. Diese Glaubensstruktur lässt sich weder naturwissenschaftlich beweisen, noch ist sie durch Wissen zu beseitigen. Glauben hat durchaus mit einer Haltung der Demut zu tun: zu wissen, dass man selbst und die eigenen Überzeugungen nicht der Wahrheit letzter Schluss sind.

Deshalb kann man als Naturwissenschaftler oder Philosoph sehr wohl auch gläubig sein. Zum Glauben gehört aber dennoch das Begründen. Glaubende wissen, warum sie etwas glauben – die gesamte Bibel ist ein Buch aus Geschichten über diese Gründe. Das unterscheidet sie vom Mythos und von Märchen. Nur sind dies weder rein rationale noch naturwissenschaftliche Gründe. Es ist das Vertrauen auf die Kraft eines Gegenübers, das mehr ist, als ich mir selbst schenken kann.

Das hat mit einem dritten Punkt zu tun: mit Freiheit. Freiheit ist immer doppelgesichtig. Sie ist Freiheit von etwas und Freiheit zu etwas. Atheisten sind nicht (nur) von Gott Befreite, sie leben mit anderen Notwendigkeiten, in ihrem Fall mit jener, in allem einzig auf sich selbst, also den Menschen, verwiesen zu sein.

Und noch ein Viertes: Man kann sich von Überzeugungen trennen, aber man kommt nie zu ihnen in einem leeren, bezuglosen Raum. Jeder wird in ein prägendes Umfeld geboren.

Auch eine atheistische Erziehung ist Indoktrination. Was dem Kindeswohl dient oder nicht, lässt sich eben nie abschließend und nie im Vorhinein entscheiden. Darin liegt die Verantwortung, die Eltern haben. Eine atheistische Erziehung ist also nicht weniger Erziehung, sondern eine andere. Sie ist auch nicht per se besser oder dem Kind förderlicher. Um dies entscheiden zu können, müsste man von einem Punkt außerhalb der Gesellschaft und der Geschichte urteilen können. Es gibt ihn nicht.

Wer aber Beschneidung verbieten und damit kriminalisieren will, muss sich klarmachen, dass man damit genau das tut, was man den Anhängern des religiösen Ritus vorwirft: in übergriffiger Weise anderen die Akzeptanz einer Glaubensposition aufzuzwingen. Auch deshalb muss Beschneidung legal bleiben, nicht nur aus Respekt vor der Tradition eines religiösen Ritus.

Anmerkung: Solange die Kinder im Bauch sind, darf man sie in unserer Gesellschaft zerschneiden – abtreiben. Nach der WHO ist die Beschneidung von Männern gesundheitsfördernd. Deshalb sind fast alle Männer in den USA als Kinder beschnitten. Es ist also eine „Glaubenssache“, ob man damit dem Kind etwas Gutes tut oder nicht.

Vergleiche auch:

http://israelimpulse.wordpress.com/2012/07/21/zurcher-kirchen-kritisieren-den-beschneidungs-stopp-am-zurcher-kinderspital/

http://israelimpulse.wordpress.com/2012/07/19/kinderspital-zurich-stoppt-beschneidungen-aus-religiosen-grunden/

http://israelimpulse.wordpress.com/2012/07/19/symbolischer-beschluss-soll-die-aufgeregte-debatte-um-die-beschneidung-beruhigen/

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