Mit dem drohenden Zusammenbruch des Assad-Regimes in Syrien steht der Libanon vor der wohl größten Herausforderung seiner jüngeren Geschichte. Lange waren die christlichen Libanesen, die ungefähr ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, politisch marginalisiert. Nach dem Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon im Jahr 2005 gaben sich christliche Politiker wieder selbstbewusster. Nun könnten sie mit der Schwächung Syriens und der pro-syrischen Kräfte im fragilen Gleichgewicht des multireligiösen Libanon an Gewicht gewinnen.
Doch wie die Muslime im Land sind auch die christlichen Libanesen über die Ereignisse in Syrien tief gespalten. Die „Freie Patriotische Bewegung“ steht auf der Seite der schiitischen Hisbollah, die mit dem Regime in Damaskus verbündet ist. Die „Forces Libanaises“ und die Phalangisten bilden mit der sunnitischen „Future Bewegung“ eine Allianz. Diese halten zu den Aufständischen. Längst haben sich im Libanon die Bezeichnungen „schiitischer Christ“ und „sunnitischer Christ“ eingebürgert.
Sarkis Naoum, Kolumnist der libanesischen Tageszeitung „an-Nahar“, wünscht sich eine konstruktivere Rolle der Christen. Er stellt sich vor, dass die christlichen politischen Kräfte die Funktion einer Brücke spielen könnten, um Schiiten und Sunniten einander näher zu bringen. Aber Naoum hält dies für unwahrscheinlich.
Im Vergleich zu anderen arabischen Ländern hätten die Christen im Zedernstaat durchaus politischen Einfluss, sagt George Sabra, Direktor der Near East School of Theology in Beirut. Der evangelische Christ wünscht sich, dass Christen eine aktivere Rolle einnehmen und ein Gleichgewicht zwischen verfeindeten Sunniten und Schiiten herstellen. Allerdings meint der Theologe, dass diese Vision bei den christlichen Parteien gar nicht existiert. Die christlichen politischen Führer auf beiden Seiten seien gefangen in ihrer Geschichte und in den blutigen Konflikten der Vergangenheit.