Vom Stamm des Leuchters zweigen nach beiden Seiten drei Armpaare ab. Jedes Paar bildet einen eigenen thematischen Spannungsbogen. An der Stelle, wo die Arme vom Stamm abzweigen, kündigt das Bild auf dem Mittelstamm das Thema an. Der äußere Bogen ist dem Thema Widerstand gewidmet und geht vom Bild des Aufstands des Warschauer Ghettos aus. Der rechte Arm steht unter dem Motto des Halbverses „Nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern (…)“ aus Sacharja 4,6. Benno Elkan zeigt Formen des aktiven Widerstandes auf: Hader, Eifer, Begeisterung und Wiederaufbau.
An der Spitze schreit vielleicht der hadernde Prophet Jeremias vor dem Hintergrund des zerstörten 1. Tempels mit einer offenen Hand und geballter Faust gerade zum Himmel: „Warum hast du uns denn so geschlagen, dass uns niemand heilen kann?“ (Jeremia 14,19). Babylon hat Jerusalem eingenommen und die Elite ins Exil nach Babel verschleppt. Jeremia und das einfache Volk bleiben zurück, bevor es nach Ägypten flüchtet (Jeremia 42,19). Noch heute klagen die Juden am 9. Aw über die Zerstörung des Tempels mit den Worten von Jeremia: „Wie liegt die Stadt so verlassen, die voll Volks war!“ (Klagelied 1,1) „Wie hat der Herr die Tochter Zion mit seinem Zorn überschüttet!“ (Klagelied 2,1).
Im Relief darunter marschieren die bewaffneten Makkabäer gegen die hellenistischen Tempelschänder, als Antiochus IV. Epiphanes 168 v.Chr. den Tempel in Jerusalem dem Zeus Olympios weihte und dort heidnische Opfer (Schweine) darbrachte. Das Wort „Makkabäus“ bedeutet „Hammer“. Es gelang den Makkabäern, die griechische Herrschaft abzuschütteln. Jonathan einer der Anführer nahm die Hohepriesterwürde an, obwohl er keiner hohepriesterlichen Familie angehörte. Die Frommen im Land gingen daraufhin mehr und mehr auf Abstand. Eine Gruppe davon waren die Essener, welche in Qumran eine Siedlung hatten und im Menschen selbst den Tempel Gottes sahen. Die Gruppe der Pharisäer konzentrierte sich mehr auf die Synagogen-Gottesdienste. Mit dieser Spaltung hatte der bewaffnete Aufstand der Makkabäer die geistliche Einheit der Juden ins Wanken gebracht.
Mit den Makkabäern zogen damals auch die sogenannten Chassidäer (1.Mak 2,42; 7,13; 2.Mak 14,6) in den Kampf, deren spätere ostjüdische Ableger im folgenden Relief als naturfromme Mystiker und enthusiastisch tanzende Burschen dargestellt werden. Mit ganzer Kraft und Begeisterung leben sie bis heute in abgeschlossenen Gemeinschaften und stehen dem Staat Israel ablehnend gegenüber.
Die Reihe wird durch ein Medaillon beschlossen, das den Statthalter Nehemia beim entschlossenen Wiederaufbau des 2. Tempels zeigt. Nach siebzig Jahren des Babylonischen Exils war er ein Mensch, der trotz Widerstand praktisch Hand anlegte. Nehemia steht wie ein Sinnbild für den Aufbau des Landes durch die Kibbuzim da, was sich aus der Abbildung eines Haganah-Kämpfers am linken Bildrand ableiten lässt.
Unter dem Motto „durch meinen Geist, spricht der Herr der Heerscharen“ zeigt Elkan spirituelle Formen des Widerstandes.
So steht dem hadernden Jeremia auf der anderen Seite der tröstende Jesaja mit seiner Vision vom Welt- und Tierfrieden gegenüber. „Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.“„Er wird ein Zeichen aufrichten unter den Völkern und zusammenbringen die Verjagten Israels und die Zerstreuten Judas sammeln von den vier Enden der Erde.“ (Jesaja 11,6-8.12). Gott ist es, der sammelt und die Zeit bestimmt.
Den fanatischen Gotteskriegern steht der weise Rabbi Jochanan ben Sakkai gegenüber, der sich an den Zeloten vorbei in einem Sarg aus dem belagerten Jerusalem schmuggeln ließ, um mit Billigung der Belagerer ein Lehrhaus in Jawne zu errichten und das geistige Überleben Israels zu sichern, während die Nachfolger der Makkabäer es vorzogen, in Masada ruhmreich den Heldentod zu sterben. Er bildete einen neuen Sanhedrin, der sich um Lehr- und Rechtsfragen kümmerten, die eine Weiterexistenz des Judentums unter völlig veränderten Bedingungen ermöglichten. So entstand einen neue jüdische Lebensordnung ohne Tempel, Opfer und Wallfahrtsfeste.
Den mystischen aschkenasischen Chassiden stellt Elkan die strengen sephardischen Denker und Dichter aus dem mittelalterlichen Spanien gegenüber. Dieses Relief ist mit dem in Gedanken versunkenen rationalistischen Philosophen Maimonides und dem in die Ferne blickenden Dichter der Zions-Sehnsucht Jehuda HaLevy selbst ein Doppelbild. Maimonides hält zwei Bücher zusammen: Aristoteles und seine Mischna Thora. Die Friedenstaube, die auf ihnen Platz genommen hat, besagt, dass der Verfasser Frieden zwischen Offenbarung und Naturwissenschaft stiftete. Jehuda HaLevy dagegen hat als Dichter und Verfasser des Buches Kusari den Gott der Väter gegen den Gott des Aristoteles ausgespielt.
Schließlich korrespondieren mit dem realistischen Pionier Nehemia die in romantischer Sehnsucht nach Jerusalem verschmachtenden Exilanten, die mit Psalm 137 klagen: „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten.“ (Ps 137,1). Damals schon hat das jüdische Volk der Stadt Jerusalem gedacht. Im täglichen Achtzehngebet heißt es: „Erbaue sie bald in unseren Tagen als ewigen Bau!“ So wurde die Sehnsucht nach dem Land Israel und Jerusalem wachgehalten.
Insgesamt werden auf dem linken äußeren Seitenarm die vier Ideen Hoffen, Lernen, Denken/ Dichten und Schwärmen veranschaulicht und den komplementären Gegenideen Hadern, Eifern, Begeisterung und Wiederaufbau entgegengestellt.
Text: Hanspeter Obrist
Fortsetzung: Auferstehung – Der rabbinische Arm der Knesset-Menora in Jerusalem
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