Tunesien, das war einst die lebendige Herzkammer des westlichen Christentums. Von dieser altchristlichen Herrlichkeit ist wenig geblieben. Der Wind pfeift heute durch die Ruinen der Basiliken und Taufhäuser des antiken Karthago nahe der Hauptstadt Tunis. Doch hier glaubt, betet und dient auch heute eine lebendige christliche Gemeinschaft. Wieder, muss man sagen. Denn die etwa 25.000 Christen – 20.000 davon sind Katholiken – in dem nordafrikanischen Land mit seinen rund elf Millionen Einwohnern sind fast alle Ausländer.
Konversionen zum Christentum sind für Tunesier gesetzlich nicht verboten. Jean (Name geändert) ist einer der wenigen gebürtigen Tunesier, die sich haben taufen lassen. Das amerikanische Außenministerium schätzt ihre Zahl in seinem Bericht zur Religionsfreiheit aus dem Jahr 2010 auf insgesamt etwa 2.000 Personen. Meist treten sie protestantischen Gemeinschaften bei. So auch der 23-jährige Jean.
„Ich habe von Jesus im Fernsehen gehört. Es gab da eine Sendung über ihn“, sagt er. Tatsächlich sehen viele Tunesier die Programme aus dem nahen Italien oder Frankreich. „Und seine Botschaft hat mich nicht mehr losgelassen.“
Die Stimmung gegen die Christen – sofern sie nicht gerade Konvertiten vom Islam sind – ist nicht generell feindselig, weiß Schwester Marie (Name auf Wunsch geändert) zu berichten. Sie leitet eine Ordensschule im Norden Tunesiens. Neun kirchliche Schulen gibt es im Land. „Die Menschen respektieren uns Schwestern sehr, nicht zuletzt wegen unserer Ordenstracht mit dem Schleier.“
Trotz viel lokaler Harmonie: Nicht nur Christen sind besorgt, in welche Richtung sich Tunesien entwickeln wird. Die ersten freien Wahlen nach dem Sturz des Diktators Ben Ali brachten die lange Jahre unterdrückten islamischen Partei Ennahda an die Macht. Zwar gelten sie als gemäßigt. Doch schweigen sie regelmäßig zu den Übergriffen der Salafisten, die sich besonders bei einfachen Menschen großer Unterstützung erfreuen. So wurde etwa kürzlich der Geistliche der russisch-orthodoxen Gemeinde in Tunis von ihnen bedroht: Er könne konvertieren, die traditionelle Kopfsteuer für Christen bezahlen oder den Tod wählen.
Solche Extremisten sind sicher nicht repräsentativ. Dennoch nimmt Schwester Sophia (Name auf Wunsch geändert) eine zunehmende Islamisierung wahr. Die Schulleiterin in Tunis, deren Schule ausschließlich von Muslimen besucht wird, meint: „Die Eltern unserer Schüler fragten früher nicht, ob wir auch wirklich den Islam in der Schule lehrten und nicht das Christentum. Auch hat sich niemand erkundigt, ob Kreuze in den Klassenzimmern hingen. Das ist seit der Revolution anders.“ Nach ihrer Meinung suchen die Menschen angesichts all der Umbrüche ihre Identität im Islam.