Die protestantische Ordensschwester Rosemarie hatte sich die Stille und nach innen gekehrte Frömmigkeit von „Haus Gotteshilfe“ in Berlin-Neukölln für ihre letzten Dienstjahre ausgesucht. Vor der Tür, erzählt die Diakonisse, gibt es das Christentum nicht mehr. „Ich habe mich einmal vor das Haus gestellt und die ersten 20 Menschen gezählt, die vorbeikamen. 16 trugen ein Kopftuch.“
Das Rollberg-Viertel ist mittlerweile muslimisch, wer hier nicht an Allah glaubt, sondern an den christlichen Gott, der ist meist schon jenseits der 70. Hierher kam Schwester Rosemarie, die im Siegerland geboren wurde, vor fünf Jahren als Predigerin und Seelsorgerin.
Da war sie schon 68. Im Juli 2011 traf sie dann eine Entscheidung, die bis heute nachwirkt. Nadi, eine von ihr ein Jahr zuvor getaufte Iranerin, die schon lange in Deutschland lebt, brachte eine Handvoll Landsleute mit ins „Haus Gotteshilfe“. Sie waren Christen oder wollten es werden; Menschen, für die das Deutsche partout kein schönes Wort erfinden will: Asylanten, Flüchtlinge, Geduldete.
Schwester Rosemarie hätte reagieren können wie andere vor ihr: den Aufwand scheuen, mit den schlechten Deutschkenntnissen der Fremden argumentieren, an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln. Sie tat nichts dergleichen. „Seither ist alles anders geworden“, sagt sie, „das Kuschelige gibt es nicht mehr, wir sind nicht mehr unter uns.“ Sie strahlt. „Die Taufe der Iraner bedeutet einen totalen Umbruch auch für uns. Das ist meine Berufung.“
Es war ihr Vater, der Nadis Flucht aus Teheran organisierte. Eine Flucht, die ihn Geld kostete: für einen Schleuser und gefälschte Dokumente. Eine Flucht, die vielleicht einen Abschied für immer bedeutet. Nun lebt Nadi seit fast einem Monat in einem Berliner Heim für Asylbewerber. Den Schleier, alles Einschnürende hat sie abgelegt, hätte dies gern schon zu Hause in Teheran getan, aber da ging es nicht. „Schon an der Uni bin ich manchmal erwischt worden, weil ich ein loses Kopftuch trug, dort wurde ich oft stundenlang ausgefragt, ob ich Christin bin“, sagt Nadi; jene Nadi, die das Leben in Haus Gotteshilfe so grundlegend verändert hat.
Als die islamische Polizei die Wohnung von Nadis Eltern durchsuchte, war sie gerade an der Universität. Sie bekam einen Tipp von einem Freund, versteckte sich. An diesem Tag ging das bisherige Leben zu Ende, ihres und das ihrer Familie, die nichts wusste von der Wandlung der Tochter von einer Muslimin zur Christin.
In ihrem Zimmer fanden die Polizisten eine Bibel. Der Islam sieht den Übertritt zu einer anderen Religion nicht vor. Im Iran droht dem, der es wagt, die Todesstrafe. Als die Abneigung gegen den Islam immer größer wurde und die Zuneigung zum neuen Glauben stärker, schloss sich Nadi einer Hauskirche an; das sind Geheimtreffen. Doch dann kam die Polizei.
„Mein Vater war gegen mich, aber er hat mir trotzdem geholfen rauszukommen, brachte mir einen Koffer mit Sachen.“ Nadi musste auch weg, damit die Familie wieder ein Stück weit ihren Frieden finden kann. Zurück möchte sie, sobald es geht, das Heimweh ist unerträglich. „Dafür bete ich.“
Michael macht Bilder. Am liebsten, verträumte, märchenhafte, virtuose. In seiner Kultur gilt das als Verbrechen. Die Fotos wurden geheim gemacht und verkauft. Jedes Bild war ein Grund, im Gefängnis zu landen, und trotzdem signierte Michael sie alle mit seinem Namen und Datum. Eines Tages machte er Aufnahmen von einer Hochzeit, auf Wunsch des Brautpaares. Doch die Eheleute bekamen es mit der Angst zu tun und denunzierten ihn bei den Behörden. „Sieben Tage musste ich ins Gefängnis, danach lag ich zwei Tage im Krankenhaus.“ Michael hatte sich schon im Iran zum Christentum bekehrt. „Hätte mein Vater das gewusst, er hätte mich getötet. Wir haben heute Kontakt über Internet, aber er weiß immer noch nichts.“ Darf nichts wissen von seinem Glauben.
Schwester Rosemarie lässt keinen Zweifel daran, dass sie den Glauben ihrer Iraner für aufrichtig hält. „Die meisten haben sich schon im Iran bekehrt, sie waren gut situiert, sie hatten ein Leben. Sie haben das für Christus aufgegeben.“ Außerhalb von „Haus Gotteshilfe“ erleben sie, wie sie wieder zu Geächteten werden. Einige besuchen Deutschkurse. Dort treffen sie auf Muslime. Für einige gibt es nur etwas, das noch schlimmer ist als ein Christ: ein Muslim, der Christ geworden ist. „Die Iraker, Afghanen und anderen im Kurs machen es uns nicht leicht. Sie beschimpfen uns“, sagt Kajir.
Bei allem Chaos, das ihre Bekehrung in ihren Leben angerichtet hat, taucht ein Motiv in vielen Schilderungen immer wieder auf: Ruhe. „Der Islam bedeutet Stress, das Christentum Ruhe“, sagt Michael. „Ich will als Frau etwas zählen, Ruhe haben, das geht im Islam nicht“, sagt Nadi.
Martin ist die Ausnahme unter den Gottsuchern, denn er sagt, er habe wegen der Politik, wegen Präsident Ahmadinedschad und dessen Regime das Land verlassen. Er war immer ein politischer Kopf, hatte Journalismus studiert. Die Proteste vor knapp zwei Jahren erfüllten ihn mit Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte.
Doch das Regime obsiegte, und Martin brach auf. Auf seiner Suche nach einem neuen Anfang begegnete ihm in Griechenland ein Pastor, der ihn beeindruckte. Aus den Gesprächen über Gott und Jesus wurde das Bedürfnis, sich dieser Religion anzuschließen. „Wenn ich zurückkehren muss“, sagt er, „werde ich aufgehängt.“
Die christliche Gemeinde auf dem Rollberg erlebt, was viele jüdische Gemeinden vor über einem Jahrzehnt erlebten: Durch Zuwanderung erfährt sie eine enorme Auffrischung. Waren es bei den Juden die russischen Migranten, so bereichern die Flüchtlinge aus dem arabischen Raum und dem Iran die christliche Gemeinde. 32 Iraner hat Schwester Rosemarie bisher getauft, mehr als 60 kommen regelmäßig in die Gemeinde.
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