Golgatha ist keine Zahnpasta, und Sodom und Gomorrha sind kein Ehepaar. Noah ist nicht bloß der Vorname von Boris Beckers Sohn und Hiob nicht allein der Titel eines Romans von Joseph Roth. Ostern ist nicht das Fest von Jesu Hochzeit und Pfingsten nicht das seiner Auferstehung. Viele Bewohner des sogenannten christlichen Abendlandes wären sich da allerdings nicht so sicher.
Was verbinden Sie mit Ostern, Pfingsten, Weihnachten? Diese Frage wird den Bürgern in regelmäßigen Abständen gern von Umfrageinstituten gestellt, und immer öfter lautet die Antwort: »Keine Ahnung. Freie Tage, langes Wochenende, Familienfest, Spielen mit den Enkeln, gutes Essen…« Der eine oder die andere erinnert sich dunkel: »Ein Feiertag für Christen.« Oder: »Irgendwas mit Kirche.« Aber dann datieren sie die Auferstehung auf den Karfreitag und die Geburt des Herrn auf den Ostersonntag. Wenn heute 39 Prozent der Sechs- bis Zwölfjährigen in Deutschland nicht einmal wissen, warum Weihnachten gefeiert wird – »weil Winter ist und Oma kommt« –, dann kann man kaum erwarten, dass sie wissen, was der Baum der Erkenntnis bedeutet.
Die religiöse Unbildung ist allenthalben verbreitet. Obwohl die Bibel immer noch das am meisten verkaufte Buch ist. Wir schätzen die Bibel, aber wir lesen sie nicht. Das belegen Studien renommierter Meinungsforschungsinstitute wie Gallup: Wissen über das Christentum hat in den westlichen Gesellschaften keine Priorität.
Für viele Christen drohen selbst die Ursprünge der höchsten Feiertage Karfreitag, Ostern, Weihnachten im Dunkel zu verschwinden. Pfingsten wird zwar laut einer Emnid-Umfrage von erstaunlichen 48 Prozent mit dem Heiligen Geist in Verbindung gebracht – obwohl die Taube als christliches Symbol dieses Feiertages es noch nicht bis zur Schokoladenform gebracht hat. Freilich gestehen auch 23 Prozent, keine Ahnung zu haben, was sieben Wochen nach der Auferstehung los war, nämlich die pfingstliche Entsendung des Heiligen Geistes auf die Erde, sozusagen die Geburt der Kirche. 15 Prozent verlegen gar die Auferstehung auf das Pfingstfest. Und die Ursprünge von Christi Himmelfahrt sind der Mehrheit der Bevölkerung gänzlich unklar.
Wenn aber die Kenntnis der hohen Feiertage schon Probleme bereitet, wie schlecht steht es dann erst mit den Inhalten von Altem und Neuem Testament? Worum geht es eigentlich in der Bergpredigt? Mancher vermutet dahinter einen Aufruf zur Beseitigung des Umweltmülls am Mount Everest. Amerikaner dachten bisweilen, dass es eine Ansprache von Starprediger Billy Graham sei.
Andere Frage: Woran zweifelte der ungläubige Thomas? Auch da herrscht Schweigen im Walde, und man möchte den Unwissenden zurufen: Nein, die Zweifel des großen Thomas Gottschalk an sich selbst sind nicht gemeint. Was war noch mal das Goldene Kalb? Nein, liebe Kinder, das war nicht der umgeschmolzene goldene Osterhase oder die lila Kuh in Goldpapier. Jetzt aber etwas ganz Leichtes: Wie lauten die Zehn Gebote? Kennt doch jeder! Weit gefehlt, die meisten kriegen gerade mal drei zusammen.
Schön wäre, wenn wenigstens ein paar Grundlagen unserer Kultur noch gekannt würden. Dann würden wir gewisse Grundmuster menschlichen Handelns auch in der Gegenwart schneller verstehen.
Den pazifistischen Slogan »Schwerter zu Pflugscharen« könnte man bei Jesaja 2, Vers 4, mal wieder nachschlagen. Es wäre nicht schlecht, wenn unsere Jungen und Jüngsten erführen, dass der Pazifismus nicht bei den Ostermarschierern oder den Grünen wurzelt, sondern viel älter ist.
Es gibt eine Menge Leute, die es nicht weiter schlimm finden, wenn wir keine Ahnung von der Bibel haben. Sie halten Religion für den entbehrlichen Ballast bürgerlichen Lebens. Doch die Bibel ist nun einmal die Grundlage unserer Kultur und Sprache. Wenn wir in Europa von »unserer Kultur« reden, fußt diese auf dem Boden der Bibel, auf ihren Geschichten, Gleichnissen und Psalmen. Wer die Bibelkenntnis also unnütz nennt, verkennt, dass es dabei gar nicht unbedingt um den Glauben geht.
Die große abendländische Literatur, ob von William Blake oder John Milton, ob von Thomas Mann oder Shakespeare, der allein etwa 1300 Referenzen auf die Bibel in seinen Dramen versteckte, ist ohne wenigstens rudimentäre Kenntnis der hebräischen wie der christlichen Bibel kaum zu verstehen. »Wer keine Bibelkenntnisse mitbringt, gilt in der englischsprachigen Welt als ungebildet«, sagt der amerikanische Pädagoge und Erfinder der core knowledge education, E. D. Hirsch von der University of Virginia. Die Bibel gehört für ihn ganz einfach zur cultural literacy– zur kulturellen Grundausstattung. Die einst verbreitete Lesekunst basierte auf der Bibel. Die war oft das einzige Buch im Haus, wurde täglich gelesen und studiert, nicht nur für die Weihnachtsgeschichte hervorgekramt.
In Amerika gibt es seit einigen Jahren das Bible Literacy Project. Hier sollen Konzepte erarbeitet und Lehrer geschult werden – nicht nur für einen zeitgemäßen Religionsunterricht, sondern für die Vermittlung der Bibel als Literatur.
Seit einigen Jahren werden an amerikanischen Universitäten auch Kurse zum Christentum angeboten und mit Interesse angenommen. Einige englische Universitäten haben auf das biblische Analphabetentum schon vor längerer Zeit reagiert. Studenten müssen hier im ersten Jahr den Pflichtkurs »Bibel und Klassik« besuchen.
So wie Kinder Märchen brauchen, brauchen die Menschen einer Kulturgemeinschaft die Mythen, die Legenden und die Religion, auf deren Basis diese Kultur entstand. Die Bibel lesen kann man mit intellektuellem Gewinn, auch ohne ein Glaubensbekenntnis abzulegen.
In zehn Schritten durch die Bibel – Falls Du in kurzer Zeit die Kernaussagen der Bibel entdecken möchtest: www.bibel-impulse.net oder als PDF: 10 biblische Impulse PDF