Seit die Unruhen in der Grenzstadt Deraa im März 2011 begannen, gab es im Ausland wenig Bewegung, weil die internationale Syriendiplomatie keine Resultate hervorbrachte. Das Ausland wurde aber dennoch zum Förderer des Bürgerkrieges, weil die eine Seite der an Syrien interessierten Staaten dem Regime half, Russland, China, Iran, während die andere Seite, Saudi Arabien, Qatar, Türkei, Europa und die Vereinigten Staaten die Rebellen unterstützte.
Das syrische Regime verhielt sich weniger wie eine Regierung, sondern immer mehr wie eine „Miliz“. Der syrische Staat baute seine Funktionen immer weiter ab, bis er nur noch auf den Waffen der Waffenträger beruhte. Eine „Miliz“ unterscheidet sich von einer „Regierung“ dadurch, dass sie alleine auf Grund ihrer bewaffneten Macht besteht und sich ausschließlich um deren Erhaltung kümmert.
Die „Miliz“, die so entstand, hat alawitische Färbung. Sie haben die Rache der Mehrheit zu fürchten, falls sie ihre Macht verlieren. Die Desertionen sunnitischer Offiziere und Soldaten aus der Armee fördert deren alawitischen Charakter.
Immer mehr entsteht eine Abkapselung der verschiedenen Gemeinschaften gegeneinander und eine gegenseitige Angst und Verteufelung, natürlich besonders der Alawiten und der Sunniten, die mehr und mehr als Gemeinschaften gegeneinander kämpfen. Die anderen Minderheiten, Christen, Drusen, Ismailiten, haben bisher aus Angst vor einem „Sieg der Sunniten“ eher zum Regime gehalten.
Die ausgesprochen muslimischen Kräfte sind offenbar im Vormarsch. Wenn gleich die radikalen Jihadisten unter ihnen eine Minderheit bilden, ist doch anzunehmen, dass ihre Kräfte weiter anwachsen werden. Sie erhalten Zulauf, Geld und Waffen aus dem Ausland. Saudi Arabien ist daran interessiert, das Regime zu Fall zu bringen.
Sogar Gebietsverluste sind für eine „Miliz“ nicht entscheidend. Sie kann sich, wenn sie Gebiete verliert, umso mehr auf die Verteidigung von den für sie wichtigen Zonen konzentrieren. Ein Alawitengebiet in den Bergen und der Küstenbene mit Tartous und Lattakiya wäre das letzte Stadium einer solchen Entwicklung. Sie wäre wahrscheinlich von ethnischen Reinigungen begleitet, weil es fast nirgends größere rein alawitische Zonen gibt.
Doch die gleiche Entwicklung geht auch auf Seiten des Aufstandes voran, „die Alawiten“ werden mehr und mehr als „der Feind“ wahrgenommen, obwohl es natürlich eine Mehrheit von Alawiten gibt, die nicht zu den Schützern oder Profiteuren des Regimes gehören.
Die Unversöhnlichkeit wächst mit den Grausamkeiten. Die Kämpfer im Inneren konzentrieren sich auf ihren Krieg, ihre Siegeserwartungen und ihr eigenes Überleben, und die Exilierten im Ausland streiten sich darüber, wie das künftige Syrien aussehen soll und wer von ihnen es regieren dürfe.
Eine Umkehr der bisherigen Entwicklungen müsste erfolgen, wenn es gelingen soll, die Gefahr eines Abgleitens in einen Dauerkrieg zwischen alawitischen und sunnitischen Milizen und damit eine Zerstörung des syrischen Staates als Staat zu bannen.
Bürgerkriege sind unabhängig davon, ob die eine Seite oder die andere Gelände gewinnt oder verliert. Sie setzen sich unvermindert fort, solange die Kämpfe andauern.
Ob beispielshalber Aleppo von den Rebellen gehalten werden kann oder ob die Regierung die Stadt, wie Damaskus, „zurückerobert“, ändert nicht viel. In Damaskus dauert der Kleinkrieg noch an. Wenn er ganz niedergeschlagen werden sollte, wird er wahrscheinlich zu einem Krieg mutieren, in dem die Selbstmordbomben zur Hauptwaffe werden.
Sogar wenn eine Gegenoffensive der „Regierungsmiliz“ in Aleppo wie in Damaskus „ihr Ziel erreicht“, wird der Krieg auch dort nicht zu Ende gehen. Die „Regierungsmiliz“ selbst wird mit ihren Grausamkeiten dafür sorgen, dass neue Kämpfer zu den Rebellen stoßen.
Ein Ende ist erst abzusehen, wenn die eine Seite den Glauben verliert, dass sie „siegen“ könnte. Doch das Kriterium beider für „Sieg“ liegt nicht mehr in der Herrschaft über den Staat, den es immer weniger geben wird, sondern ob die eine Seite oder die andere sich irgendwo auf dem syrischen Territorium an der Macht über die dortige Bevölkerung halten kann.
Der libanesische Bürgerkrieg hat auf diese Weise nicht weniger als 15 Jahre gedauert. Sein Ende konnte nur herbeigeführt werden, indem eine fremde Armee – in diesem Falle war es die syrische – in Libanon einmarschierte und die Milizen entwaffnete.