Juden, Christen und Muslime haben nicht nur unterschiedliche Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und von Gott, auch ihr Verständnis davon, wer und wie der Mensch ist, unterscheidet sich voneinander.
Im Judentum ist der Mensch von Natur aus gut. Denis Prager schreibt im Buch Judentum heute: „Die Vorstellung, dass wir als Sünder geboren wurden, ist alles andere als jüdisch. Jeder Mensch wird unschuldig geboren. Er selbst trifft die Wahl zu sündigen oder nicht“ (S.75). Der Mensch tut Böses und Gutes. Der Mensch an sich ist aber nicht verderbt und kann sich so sein Heil selbst schaffen. Denis Prager schreibt weiter: „Dem Judentum zufolge können Menschen Erlösung durch ihre Taten erlangen“ (S.75). Vor diesem Hintergrund kam Marx als Jude auch in seinem Konzept vom Kommunismus auf die Idee, dass sich der Mensch positiv entwickeln müsse, wenn er von schlechtem Einfluss ferngehalten wird. Die gleiche Idee prägte auch den Kibbuz-Gedanken.
Auch Muslime glauben, dass der Mensch an sich gut ist. „Jedes Kind hat von Natur aus die Anlage, Muslim zu sein. […] Der Gesandte Gottes sagte: Jedes Neugeborene hat von Natur aus die Anlage zum rechten Glauben. Es sind die Eltern, die es zum Juden, Christen oder Magier erziehen“ (Hadithe, Al-Buhari, Tod und Begräbnis 13). Erst ab dem ersten Samenerguss beim Jungen oder der Menstruation beim Mädchen ist der Mensch für sich selbst verantwortlich.
Christen verstehen die Bibel so, dass der Mensch seine ursprüngliche Stellung beim Sündenfall durch Adam und Eva verloren hat und dass er diese nicht mehr aus sich selbst heraus erreichen kann. Das bezeichnen einige als Erbsünde. Die Bibel sagt, dass wir Sünder sind (Psalm 51,7; Römer 3,23). Damit sind nicht einzelne Sünden gemeint, sondern die Tatsache, dass wir unserer ursprünglichen Bestimmung, „Stellvertreter Gottes auf Erden“ zu sein, verlassen haben. Die Bezeichnung „Sünde“ stammt aus dem Wortschatz von Bogenschützen und bedeutet „Zielverfehlung“. Wir verfehlen aus eigener Kraft das Ziel, wozu wir geschaffen wurden.
Daraus folgen ganz unterschiedliche Konzepte von Erlösung. Das im nächsten Artikel.
Text: Hanspeter Obrist
Vergleiche auch Artikel:
Juden, Christen, Muslime – das gleiche Ziel?
Juden, Christen, Muslime – ein Gott
Der Mensch für Juden, Christen und Muslime
Konzepte der Erlösung bei Juden, Muslimen und Christen
Normative Schriften bei Juden, Christen und Muslimen
Der Glaube von Juden, Christen und Muslimen ähnelt sich – zugleich gibt es aber auch Unterschiede
“Jeder Mensch, der auf die Welt kommt, kommt zunächst mit der natürlichen Veranlagung zum Islam auf die Welt. Die Eltern sind es dann, die sie zu Christen, Juden oder Feueranbetern machen.” Buchārī, Dschanāiz 92; Ebū Dāwud, Sunna 17