40 Kilometer südlich von Homs liegt Koser, die Heimatstadt von Nicolas Khoury. Der 63-Jährige, der an der Sorbonne in Paris studiert hat, erinnert sich an den 12. Februar dieses Jahres, als wäre es gestern gewesen. An diesem Sonntagmorgen klopfte es mehrmals laut an der Tür seines Hauses. Als Khoury öffnete, standen vier bewaffnete Männer vor ihm. Zwei von ihnen waren maskiert. Unter ihren Skimützen ragten lange Bärte hervor. «Für uns und vor allen Dingen für dich ist es besser, wenn du verschwindest», sagten sie. «Morgen wollen wir dich nicht mehr sehen.»
Khoury und seine Familie packten die Koffer – wie fast alle anderen der 12 000 Christen, die bis zu diesem Zeitpunkt friedlich mit den rund 30 000 sunnitischen Muslimen in Koser zusammengelebt hatten. Wer nicht gehen wollte und sich weigerte, seine Kinder in die Rebellenorganisation der Freien Syrischen Armee (FSA) zu schicken, wurde erschossen. 27 Menschen kamen ums Leben. «Ich kannte die zwei ohne Maske», sagt Khoury. «Sie waren meine Freunde.»
Nicolas Khoury, der eigentlich einen anderen Namen trägt, macht für die Vertreibung der Christen aus Koser radikale Islamisten verantwortlich, die an der Seite der Rebellen gegen Präsident al-Assad kämpfen. Er hat Angst vor ihnen und will deshalb nicht, dass sein Name in einer Zeitung steht – wie so viele andere Syrer in diesen Tagen. «Ich habe die Islamisten mit meinen eigenen Augen gesehen», sagt Khoury. «Pakistaner, Libyer, Tunesier und auch Libanesen. Sie nennen Osama Bin Laden ihren Scheich.» Khoury wohnt seit seiner Vertreibung im Kloster des Heiligen Jacobs in Kara, 90 Kilometer von Damaskus entfernt.
Die liebevoll restaurierten Gebäude aus hellbraunen Natursteinen sind zum Zufluchtsort für Syrer aller Glaubensrichtungen geworden. Die Klostergemeinschaft hat sich für den Ernstfall gerüstet: Im Wehrturm, der aus römischer Zeit stammt, hat sie Sandsäcke bereit gelegt, damit sie die Türen von innen verbarrikadieren kann. Die Menschen befürchten einen Überfall radikaler Islamisten. Zu sehr wird der Kampf der Opposition idealisiert. Es scheint wenig Bereitschaft zu geben, genau hinzusehen, was die Rebellen tatsächlich machen.
Da ist der Priester, der überfallen wurde. Die Angreifer ritzten ihm mit dem Messer ein Kreuz in die Kopfhaut. Da ist der christliche Gemüsehändler, der einen Anruf bekam und gebeten wurde, Obst abzuholen. Er wurde in seinem Auto getötet. Die Liste der Personen, die in den 16 Monaten des Aufstandes entführt und bis heute spurlos verschwunden sind, ist lang. Landauf und landab haben die Christen Angst, ihr Leben und ihre Heimat Syrien zu verlieren, in der sie doch seit Generationen zu Hause sind.
Die Verbrechen an der christlichen Bevölkerung lassen sich nicht einfach dadurch erklären, dass die Christen als Befürworter des Regimes von Bashar al-Assad gelten. Die Übergriffe auf Christen sind keine Einzelfälle und lassen eine Systematik erkennen, die auf eine extreme islamistische Agenda hinweist. Ihren Anfang nahmen die Überfälle in Homs, als die Stadt im Dezember 2011 durch die Rebellen der Freien Syrischen Armee besetzt wurde. Kirchen wurden verwüstet, die Christen vertrieben und als menschliche Schutzschilde benutzt.
Innerhalb des Gebiets in Homs, das von den Rebellen kontrolliert wurde, tauchten damals wiederholt maskierte Trupps auf. Ein sunnitischer Zeuge will beobachtet haben, wie eine bewaffnete Gruppe dieser Maskierten einen Bus stoppte. «Die Insassen wurden nach Religionen in zwei Gruppen geteilt. Auf die eine Seite Sunniten, auf die andere Seite Alewiten.» Danach habe man den neun Alewiten den Kopf abgeschnitten. Ein Mordritual, das normalerweise nur extremistische Islamisten anwenden.
«Es gibt noch mehr Leute in Hula, die wissen, was wirklich passiert ist», sagt der Augenzeuge im Kloster von Kara. «Wenn sie jetzt den Mund aufmachen, können sie nur die Version der Rebellen bestätigen, wonach Assad-Truppen das Massaker verübt haben. Alles andere ist ihr sicherer Tod.» Erst vor einer Woche soll in Hula ein Lehrer als vermeintlicher Verräter aufgehängt und danach aus dem dritten Stock seines Hauses geworfen worden sein.