Jesus lehrt beten: Dein Reich komme. Für viele Menschen ist diese Bitte mysteriös. Ich habe einige Christen gefragt, was sie sich vorstellen, wenn sie beten „Dein Reich komme“.
Ich stieß ich auf verschiedene Vorstellungen. Einige denken bei diesem Gebet, dass Jesus bald wiederkommt und sein Reich auf dieser Erde aufrichten wird. Andere sehen darin den Wunsch, dass viele Menschen ein Leben mit Gott beginnen. Dein Reich komme. Eine Bitte, die verschiedene Gedanken und Empfindungen auslöst. Was könnte Jesus damit meinen?
Das unsichtbare Reich
Auf dieser Welt gilt der Grundsatz: Ein großer König hat ein großes Reich. Jesus war auf dieser Erde ein König ohne Reich. Und das hat ihn überhaupt nicht gestört. So sagte er zum Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, so hätten meine Diener gekämpft, damit ich den Juden nicht überliefert würde, jetzt aber ist mein Reich nicht von hier“. Pilatus verstand nun die Welt nicht mehr und so fragte er Jesus: „Also bist du dennoch ein König“? Jesus antwortete: „Du sagst es selber, dass ich ein König bin. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis gebe“ (Johannes 18,36-37).
Jesus predigte ständig vom Reich Gottes (Matthäus 9,35). So versteht man die Pharisäer, die ungeduldig wurden und Jesus fragten: „Wann kommt das Reich Gottes“? Und Jesus antwortete den verblüfften Pharisäer: „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte; noch wird man sagen: Siehe hier! Oder: Siehe dort! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lukas 17,20-21).
Jesus beauftragte sogar andere Menschen, mitzuhelfen das Reich Gottes zu verkünden (Lukas 9,60). Das Reich Gottes muss also verkündigt werden. Im Gespräch mit Nikodemus sagt Jesus, dass nur die Menschen das Reich Gottes sehen, die von neuem geboren worden sind (Johannes 3,3). Und wer in dieses Reich hineingehen will, der muss aus Wasser und Geist geboren sein (Johannes 3,5).
Das Reich Gottes beginnt also da, wo Menschen, die ohne Gott lebten, sich neu unter seinen Herrschaftsbereich stellen. Das ist eine bewusste Absage an alles Gottlose und eine vollständige Hingabe in Gottes Arme. Paulus beschreibt dies den Kolossern so: Gott hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines Sohnes (Kollosser 1,13-14). So sagt Jesus zu der erstaunten Volksmenge: „Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht aufnehmen wird wie ein Kind, wird nicht hineinkommen“ (Lukas 18,17).
Beim Reich Gottes verhält es sich wie mit einem Samen. Er wird überall ausgestreut. Dort wo der Boden fruchtbar ist, entsteht Frucht. Dort wo Menschen die Botschaft von Jesus aufnehmen, da entsteht ein Stück von Gottes Reich (Matthäus 5,19-23). Die Initiative zu diesem Reich kommt allein von Gott. Und er baut sein Reich mit und durch uns. Wenn Gott einmal himmlische Wesen schickte, sandte er durch sie Menschen zu anderen Christen. So war es damals beim Kornelius, dem römischen Befehlshaber und so geschieht es manchmal auch heute. Ich habe schon in Berichten gelesen, wie vor allem in Ländern wo der Islam alles beherrscht, Menschen Begegnungen mit himmlischen Wesen hatten, die ihnen sagten, wo sie hingehen sollten. Und als sie dort angekommen waren, trafen sie Christen, die ihnen die Botschaft von Gottes Reich erklären konnten.
Gott baut sein Reich mit Christen, die bereit sind mitzuhelfen. So wie ein Stuhl drei Beine braucht, um selbständig zu stehen, entsteht Gottes Reich durch drei Faktoren. Gott, der durch seinen Geist Menschen anspricht. Jünger von Jesus, die bereit sind, andere zu begleiten. Und Menschen, die offen sind sich durch Gott verändern zu lassen.
Wenn wieder ein Mensch bereit ist, sein Leben mit Gott zu gestalten, dann löst das im Himmel ein großes Fest aus. So steht in der Bibel, dass sich die Engel freuen über EINEN Menschen, der zu Gott umkehrt (Lukas 15,7.10.23). Das Reich Gottes ist ein Reich der Feste.
Das vollendete Reich
Dieses jetzt noch bruchstückhafte Reich wird eines Tages vollendet werden. Johannes hatte eine Vision von Gott. In der hörte er eine laute Stimme im Himmel sagen: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines Christus gekommen; denn hinabgeworfen ist der Verkläger unserer Brüder, der sie Tag und Nacht vor unserem Gott verklagte (Offenbarung 12,10).
Wie und was da genau geschieht, hat die Christen zu viel Spekulationen angereizt. Jesus kommt wieder, das ist allen klar. Aber wie sieht dieses vollendete Reich aus?
Die ersten Christen (1.-3.Jh) waren mehrheitlich davon überzeugt, dass Jesus sehr bald wiederkommen und ein irdisches, tausendjähriges, jüdisches Reich aufrichten würde.
Ab dem 4. Jahrhundert wurde der christliche Glaube und die Kirche offiziell anerkannt. Jegliche Verfolgung der Christen hörte auf. So sahen die Kirchenväter die Verheißungen in der Offenbarung 20 als erfüllt an, da der Teufel nun das Reich Gottes nicht mehr hindern konnte und die Kirche selber zur Herrschermacht wurde. Augustinus legte das tausendjährige Reich auf die Kirche aus. So wurde am Konzil zu Ephesus (431 n.Chr.) der Glaube an ein zukünftiges Reich als Aberglaube verurteilt.
Im Zuge der Reformation glaubten einzelne Christen wieder vermehrt an ein tausendjähriges Reich auf Erden. Doch 1534 gab es in Münster eine fatale Entgleisung. Ein Mann gab sich als Christus aus und verführte die ganze Stadt zu schändlichen Taten.
Die Reformatoren hielten am Glauben fest, dass es kein irdisches, tausendjähriges Reich geben werde. Das war vor allem auch wegen der starken Verknüpfung von Staat und Kirche. Calvin bezeichnete sogar die Anhänger vom irdischen, tausendjährigen Reich als unwissend und niederträchtig.
Im 17. Jahrhundert gab es neue Aufbrüche von Menschen, die an ein irdisches, tausendjähriges Reich glaubten. Sie beriefen sich auf Luther, der die wörtliche Auslegung der Schrift forderte und den Papst als Antichristen bezeichnete. Aus diesen Aufbrüchen heraus entstanden wieder einige fragwürdige Bewegungen. So ermutigte J.H.Bengel viele Deutsche, all ihr Hab und Gut zu verkaufen und in Russland an einem bestimmten Ort dem wiederkommenden Jesus zu begegnen.
John Nelson Darby (1800-1882) begründete eine neue Theorie über das tausendjährige Reich (Dispensationalismus). Er vertrat eine Differenz von 7 Jahren zwischen der Entrückung und der Wiederkunft. Die ganze Geschichte der Menschheit werde in verschiedene Heilszeiten eingeteilt.
Heute gibt es vier verschiedene Auffassungen über das zukünftige Reich Gottes. Zwei Richtungen glauben an ein irdisches Königreich, in der die Juden die wichtigste Rolle spielen. Die anderen zwei Richtungen glauben, dass mit der Wiederkunft von Jesus das Gericht über die Menschheit kommen wird und dass sich die vollendete Herrschaft von Jesus auf den neuen Himmel und die neue Erde bezieht.
Wir wissen nicht genau was kommt, aber wer kommt. JESUS!
Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Bibel keinen Fahrplan, sondern einen Heilsplan enthält. Die Bibel erzählt uns, was auf uns Christen alles zukommen kann. Es soll uns helfen, trotz Bedrängnis ganz Gott zu vertrauen. Die endzeitlichen Prophetien sollen die Gläubigen stärken und ihnen in all den unsicheren Zeiten Hoffnung vermitteln. Eines ist sicher: Jesus wird sein Reich vollenden.
DEIN Reich
In der Bitte „Dein Reich komme“ stellen wir uns mit hinein in den doppelten Wunsch Gottes, dass jetzt sein Reich überall wachsen kann und dass es eines Tages vollendet werden soll. Gottes Anliegen wird zu unserem eigenen.
Doch möchten wir das? Beten wir in unseren Gebeten nicht manchmal „Mein Reich komme“ statt „Dein Reich komme“? Leiden wir in unseren Gebeten nicht gerade darunter, dass wir uns mit unseren Anliegen oft um unseren eigenen Absatz drehen? Müssen wir nicht wie die Jünger unserem Gott bekennen: Lehre uns beten.
Dein Reich komme heißt, dass Gottes Herrschaft unter uns sichtbar wird. Walter Lüthi, ein Basler Pfarrer, schrieb:
„Ich kannte einen Christen. Er hatte wie jeder Gläubige seine Seltsamkeiten, aber er war ein Christ. Er hatte unter anderem in jungen Jahren gemeint, man müsse sich einen Bart wachsen lassen, wenn man gläubig sei. Er war der einzige, der es im Dorf wagte, einen Bart zu tragen; schon das war vielleicht etwas wie ein Bekenntnis. Er war aber lange Zeit hindurch auch der einzige im Dorf, der es allen Spöttereien zum Trotz wagte, zusammen mit den Frauen zur Bibelstunde zu gehen. Er war es auch, der schon früh die Dorfjugend zur Sonntagsschule sammelte.
In dieser ganzen Gegend sind alle sehr auf’s Fahrrad angewiesen, denn die Äcker der Leute liegen zwei Stunden im Umkreis zerstreut; so fährt jedes heranwachsende Kind heute in jener Gegend Fahrrad. Unser Mann mit dem Bart aber besaß einst als erster im Dorf ein Rad. Er hatte sich als erster auslachen lassen, als er zum erstenmal damit durch’s Dorf fuhr. Die Buben hatten es ihm gestohlen. Man fand es zwei Jahre später in einem Güllenloch. So hatte der Mann mancherlei Widerspruch erdulden müssen. Trotz vielen Anfeindungen ließ er sich nicht entmutigen.
Seltsamerweise wuchsen diesem Mann im Lauf der Jahrzehnte mancherlei Ämter zu. Als der Übergang vom Petroleum zur Elektrizität vollzogen war, wurde der Mann mit dem Bart Zählerkontrolleur und er zog das Geld ein. Man machte ihn im Dorf zum Fleischschauer, ein Amt, das aller Bestechlichkeit standhalten musste. In dieser Eigenschaft kam er in alle Häuser. Dabei beobachtete er, wie vor allem die Kleinbauern beim Handeln durch fremde Händler übertölpelt wurden, indem sie den Bauern angaben, dass ihr Vieh viel weniger wiege. Er sah, dass dadurch armen Leuten einen beträchtlichen Schaden entstand. Da ergriff dieser Mann die Initiative, dass das Dorf, trotzdem es das kleinste war weit und breit, eine öffentliche Viehwaage anschaffte. So konnten nun auch die Kleinbauern ihr Vieh wägen. Als es sich darum handelte, die Vertrauensperson zu finden, da machte die Gemeinde den Mann mit dem Bart zum Waagemeister. Er hatte zu sehen, dass recht gewogen wurde und dass die Waage jederzeit stimmte. Das ist Reichsglaube. Ein Glaube der bis zur Viehwaage hinein in den Alltag greift und allem Gegenwind stand hält, damit Gottes Reich spürbar wird“.
Dein Reich komme!
Text: Hanspeter Obrist
Vergleiche auch Artikel: Gott hält sich nicht an unseren Endzeitplan
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