Die mittleren Arme des Leuchters umfassen das Thema Auferstehung der Toten. Das zentrale Relief zeigt die Vision des Propheten Hesekiel (Kap. 37). Mit der Auferstehung ist kein Wunder der Medizin, sondern eines der Geschichte gemeint: Die Wiederbelebung der verstreuten und vertrockneten Gebeine des Volkes Israel durch Gottes Geist (Hes. 37,8-10).
Auf den von dieser Vision abzweigenden Unterarmen hat der Künstler Benno Elkan ein Band mit den Symbolen der zwölf Stämme Israels gesetzt, von denen zehn seit dem Altertum verschollen sind. Der Prophet Hesekiel hatte ihre Wiederkehr und ihre Wiedervereinigungen verheißen: „Diese Gebeine, sie sind das ganze Haus Israel“ (Vers 11). „Und ich gebe meinen Geist in euch, dass ihr lebt, und werde euch in euer Land setzen.“ (Vers 14). „So spricht der Herr, HERR: Siehe, ich nehme die Söhne Israel aus den Nationen heraus, wohin sie gezogen sind, und ich sammle sie von allen Seiten und bringe sie in ihr Land. Und ich mache sie zu einer Nation im Land, auf den Bergen Israels.“ (Vers 21-22).
Durch Symbolbilder der 12 Stämme repräsentiert der mittlere Arm der Menora das gesamte jüdische Volk. Diese Symbole sind so angeordnet, dass jeweils zwei oder eines durch Mandelblüten (vgl. Ex 25,31-34) getrennt sind. Die Zeichen finden sich in den Segensworten Jakobs über die zwölf Söhne fast vollständig wieder. Nur für Levi könnte der Mosesegen in Deuteronomium 33 als Grundlage dienen. Auffällig ist, dass die Anordnung der Stämme, wie sie sich mit den genannten Symbolen auf den beiden Seiten des Mittelarms der Menora findet, keine Entsprechung in irgendeiner der zahlreichen Stämmelisten der Bibel hat.
Die Zeichen auf dem rechten Arm zeigen von rechts nach links:
Wasserwogen – Blüte: Ruben, Du bist übergewallt wie das Wasser (Gen 49,4)
Fahne: Gad, Räuberscharen bedrängen ihn, und er, er drängt ihnen nach auf der Ferse (mit einer Fahne) (Gen 49,19)
Wolf – Blüte: Benjamin ist ein reißender Wolf … (Gen 49,27)
Korb mit Früchten: Die Söhne Levis … legen Räucherwerk vor dich … (Dtn 33,10)
Schlange – Blüte: Dan wird Schlange am Weg … (Gen 49,17)
Frucht- bzw. Palmbaum: Ein junger Fruchtbaum ist Josef … (Gen 49,22)
Die Zeichen auf dem linken Arm zeigen von rechts nach links:Schwert – Blüte: Simon und Levi, Werkzeuge der Gewalttat sind ihre Waffen … (Gen 49,5)
Segelschiff: Sebulon wohnt am Gestade des Meeres, am Gestade der Schiffe … (Gen 49,13)
Gazelle – Blüte: Naftali ist eine losgelassene Hirschkuh … (Gen 49,21)
Weintraube: Ascher, seine Nahrung ist fett … Königsleckereien … (Gen 49,20)
Esel (der Kopf ist links) mit Sack – Blüte: Issaschar ist ein knochiger Esel … (Gen 49,14)
Löwe: Ein junger Löwe ist Juda … (Gen 49,9)
Der Geist, der das ganze Volk wiederbeleben soll, offenbart sich in der Thora. Deshalb werden die Thora und ihre rabbinische Tradition in ihren Doppelaspekten dargestellt.
An der Spitze der beiden mittleren Arme repräsentiert Hillel der Ältere (rechts) die mündliche Lehre und Esra der Schreiber (links) die schriftliche Thora.
Hillel lehrt die Heiden die Thora. Eine Anekdote erzählt: Es kam einmal ein Heide zu Schammai und sagte zu ihm: Bekehre mich zum Judentum unter der Bedingung, dass du mich die ganze Thora lehrst, während ich auf einem Fuß stehe. Mit einem Stock in der Hand trieb Schammai ihn hinaus. Der Heide ging dann zu Hillel und wiederholte seinen Wunsch: Hillel nahm ihn ins Judentum auf und belehrte ihn wie folgt: Was dir verhasst ist, tue auch deinem Nächsten nicht an. Das ist die ganze Thora. Alles Weitere ist Kommentar dazu. Geh hin und lerne ihn! Die Haltung Hillels hat sich in der Auslegung der Thora durchgesetzt. Die Rabbiner waren darauf bedacht, den Menschen entgegenzukommen und die Thora praktikabel zu machen.
Esra verliest die Thora nach der Rückkehr aus Babylon. Zur Zeit Nehemias wurde das Volk durch Esra neu in die Thora eingeführt, indem die Schriften öffentlich vorgelesen und in die aramäische Umgangssprache übersetzt wurden, so dass man verstand, was gelesen wurde. Durch Gottes Geist bewegt verstanden die Zuhörer, dass sie nicht der Thora entsprechend gelebt hatten, weinten, fasteten und verpflichteten sich neu, sich an der Thora zu orientieren (Nehemia 10,30).
Doch nicht immer war der Glaube an die Thora einfach. Rabbi Chanina ben Teradion gehörte zu den zehn Märtyrern, die die Römer hinrichteten. Chanina lehrte trotz Verbot öffentlich die Thora und wurde von seinen Henkern in eine Thorarolle eingewickelt und angezündet. Von den Schülern befragt, was er sehe, antwortete er: „Das Pergament brennt, aber die Buchstaben fliegen davon“. Damit bezeugt er den unerschütterlichen Glauben an die Unsterblichkeit der Thora.
Dem Dulder gegenüber steht Hiob auf der linken Seite für die Fragenden: „Warum verbirgst du dein Angesicht?“ (Hiob 13,24) Die Thora muss sich in Leid, Verfolgung und Vernichtung bewähren. Indem Gott Hiob seine Macht in der Schöpfung vor Augen führt, kann dieser bekennen: „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen“ (Hiob 42,5) und „Ich weiß: Mein Erlöser lebt; und als der Letzte wird er über dem Staub stehen“ (Hiob 19,25). Trotz aller Prüfungen hält Hiob an Gott und seinem Wort fest.
Darunter hat Benno Elkan den Gegensatz von Kabbala und Talmud gestaltet.
Rechts sitzt der in höheren Sphären schwebende und meditierende Kabbala-Mystiker, der über Gott und seine Namen sinniert, was durch das Dreieck und den Buchstaben Schin dargestellt wird. Im Dreieck steht: Yah Yahu YHWH (Gott, mein Gott, YHWH Adonai). Im Hintergrund sind zehn Kreise sichtbar, welche die zehn göttlichen Kräfte Sefirot symbolisieren. Die Kabbala mit ihrer Betonung geheimer Kräfte und Botschaften zwischen den Zeichen hat die Frömmigkeit vieler Juden geprägt. (Vergleiche Artikel Kabbala-die jüdische Geheimlehre)
Auf der linken Seite findet sich der Talmud-Gelehrte, der sich um das rechte Verständnis des geschriebenen Wortes, der Thora (5 Bücher Mose), bemüht. Zuerst entstand die Auslegung in der Mischna, später dann die Gemara, bestehend aus Midraschim und Aggadot. Später kamen noch die Kommentare verschiedener Rabbiner dazu. Unterschiedliche Auslegungen führten zum Palästinensischen Talmud und dem Jerusalemer Talmud. Im Bild sehen wir einen Gelehrten. Warnend erhebt er den Finger und mahnt die Jugend, den rabbinischen Zaun um die Thora nicht zu übertreten.
Die beiden abschließenden Medaillons sind den Themen Halacha (gesetzliche Bestimmungen) und Haggada (erbauliche Betrachtungen) gewidmet.
Der Hohepriester Aaron repräsentiert rechts die gesetzliche Seite der Thora, die Halacha. Aaron hebt verzweifelt die Arme, denn vor ihm liegen seine beiden toten Söhne Nadab und Abihu, die dem Herrn in der Wüste ein fremdes Feuer opfern und daher mit dem Tode bestraft werden (Num. 3,4). Ein von Gott ausgehendes Feuer hat sie getötet. Dieses Ereignis weist auf den Ernst der Gesetze der Thora hin.
Links befindet sich König und Poet Salomo (R 965-926 v.Chr.), der vielleicht in seinem Weinberg über die Geheimnisse der Thora nachsinnt oder die Liebe besingt. Das Wort für „Garten“ = „Pardes“ galt seit dem Mittelalter als Kürzel für die vier Schriftsinne der Thora (PaRDeS). Dieses Bild wäre auch sehr passend um die üppig wuchernde Schriftauslegung der Weisen zu illustrieren. Salomo repräsentiert die erzählerische Seite der Thora, die Haggada. Die Haggada veranschaulicht durch Erzählungen das Verhältnis zu Gott. Auch Gleichnisse, Legenden, Sprichwörter und Reime gehören dazu. Von Salomo stammen das Hohelied, der Kohelet (Prediger) und die Sprüche. Seine von Gott inspirierte Weisheit wurde sprichwörtlich bekannt.
Text: Hanspeter Obrist
Fortsetzung: Erlösung – der messianische Arm der Knesset-Menora in Jerusalem
Vergleiche Artikel:
Die Knesset-Menora – Symbole der Identität Israels
Die Menora der siebenarmige Leuchter
Gesamtinterpretation der Großen Menora vor der Knesset in Jerusalem
Israel von seiner Mitte her verstehen
Widerstand – Der prophetische Arm der Knesset-Menora in Jerusalem
Auferstehung – Der rabbinische Arm der Knesset-Menora in Jerusalem
Erlösung – der messianische Arm der Knesset-Menora in Jerusalem